Nach dem schwierig zu prognostizierenden Mai bewegen wir uns nun allmählich auf den Sommer zu, wobei diese Umstellung von Frühlings- zu Sommerzirkulation, die üblicherweise gegen Ende des Monats auftritt, für neue Spannung sorgt. Der grösste Teil des Monats verbleibt allerdings noch weitgehend unter dem Frühlingsregime mit seiner meridionalen Zirkulationsform, wie wir es aus den letzten Wochen kennen. Allerdings scheint sich doch allmählich eine Verschiebung der Druckzentren abzuzeichnen, sodass der Dauerhochdruck mit der daraus folgenden Trockenheit bei uns ein baldiges Ende nimmt. Man kann nur hoffen, dass es nicht gleich ins andere Extrem umschlägt, wie das in den letzten Jahren leider nicht selten der Fall war. Hochwasser ist kein probates Mittel, um in der Natur die Schäden einer dauerhaften Trockenheit auszugleichen…

Wartet sehnsüchtig auf frisches Nass von oben: Kiebitzküken im Nationalpark Neusiedlersee-Seewinkel, Ende Juni 2010
Das Langfristmodell CFS war sich in den letzten Tagen so einig wie noch nie, was eine recht hohe Zuverlässigkeit der Prognose – zumindest was die grossräumige Zirkulation betrifft – erwarten lässt. Allerdings steckt der Teufel meist im Detail, und da gibt es noch genügend eingebaute Fallen. Denn bei der meridionalen Zirkulationsform ist es leider so, dass bereits geringfügige Verschiebungen der Druckgebiete regional zu grossen Unterschieden führen. Wie meistens ist also die nachfolgende Prognose nicht als lokale Vorhersage, sondern als allgemeiner Trend zu verstehen.
Die allgemeine Richtung der Modellläufe bei der Druckverteilung ist klar: Eine starke positive Anomalie erstreckt sich vom zentralen Nordatlantik bis nach Skandinavien, wobei das Zentrum südwestlich von Island klar die Führung übernimmt und jenes über dem östlichen Nordeuropa deutlich schwächelt. Wir deuten dies so, dass sich der Hochdruckschwerpunkt allmählich von West- und Nordeuropa der letzten Wochen weiter nach Westen auf den Atlantik verschiebt. Dies öffnet Tür und Tor für Tröge und Abtropfprozesse zunächst über Mittel-, später auch Westeuropa. Und genau hier liegt das Problem: Je nachdem, wo genau sich so ein abgetropftes Tief für längere Zeit einnistet, kommt Mitteleuropa entweder mittendrin zu liegen oder eher am östlichen Rand. Entweder sitzen wir wochenlang richtig in der Tinte mit permanent kühlen und mässig feuchten nordatlantischen Luftmassen, oder aber wir bekommen aus südlicher bis östlicher Richtung schwülwarme und zu Unwettern neigende Luftmassen geliefert – wobei durchaus das Eine das Andere ablösen kann. So oder so: Das meist stabile Hochdruckwetter des vergangenen Frühlings scheint endgültig der Vergangenheit anzugehören.
Auf die Temperaturverteilung hat das beschriebene Zirkulationsmuster folgende Auswirkungen: Unter dem Hochdruckgürtel von Südgrönland bis nach Skandinavien erwärmt sich die Luft auf überdurchschnittliche Werte, was am Boden zu einer Abweichung von +2 bis +4 Grad zur langjährigen Norm führt. Mit dem zunehmenden Tiefdruck über Südeuropa und den Alpen fällt hier der Sonnenschein-Bonus der letzten Wochen weg, das heisst: Die Luftmassen aus nördlicher Richtung bleiben so kühl, wie sie geliefert werden, oder kühlen durch häufige Niederschläge sogar weiter aus. Es ist also durchaus damit zu rechnen, dass in diesen Regionen der Juni nach langer Zeit wieder mal deutlich zu kühl verläuft.
Weite Teile Südwest-, Mittel- und Osteuropas müssen (oder dürfen, je nach Präferenz) mit einem leicht bis deutlich zu nassen Juni rechnen. Die in der Karte gezeigten lokalen Unterschiede je nach Lage zu den Gebirgen sollte man aus den oben beschriebenen Gründen der Unvorhersagbarkeit der Tiefdruckaktivität und -verlagerung nicht zu ernst nehmen. Es ist durchaus möglich, dass es in den Alpen und an deren Abflüssen zu Hochwasser kommt, während die flacheren Gebiete nur spärlich bewässert werden. Oder es kommt – wie es für die Grosswetterlage “Tief Mitteleuropa” typisch ist – wie zuletzt im Juni 2016 zu lokal begrenzten Starkregenereignissen, während es andernorts fast trocken bleibt. Am deutlichsten wird die nasse Zone auf der Iberischen Halbinsel gerechnet, hierin sind sich die Läufe des Modells durchgehend einig. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Überflutungen kommt, ist dort also am höchsten.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Der Vogelzug ist so gut wie abgeschlossen, nun kommt es also darauf an, was die Vögel in ihren Brutgebieten für Bedingungen antreffen. In weiten Teilen Mittel- und Nordeuropas war der Frühling sehr trocken, was zu rekordtiefen Wasserständen geführt hat. Besonders dramatisch ist die Lage am Neusiedlersee und dem angrenzenden Seewinkel, wie der folgende Bericht zeigt: https://www.servustv.com/videos/aa-241bzn8511w12/. Ob die Situation genau dort durch länger anhaltenden Regen gelindert wird, ist wie gesagt noch sehr unsicher. So oder so käme der Regen für viele Wasservögel im Juni zu spät. Im Gegenteil: Die Gefahr, dass die Nester jener Vögel, die es trotzdem mit der Brut versucht haben, vom steigenden Wasserspiegel überflutet werden, ist gross. Dies gilt natürlich auch für alle, die an Gewässern brüten, die aus den Alpen gespeist werden. Glück hat, wer bereits geschlüpft ist und im zunehmenden Nass nach Nahrung stochern darf…

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe gegenüber der Klimanorm 1981-2010

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010 (rot = trockener, blau = nasser als normal)
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
Finden Sie die Prognosen und Artikel von orniwetter.info nützlich und möchten sie nicht mehr missen? Da die Schaltung von aufdringlicher Werbung nicht nur viele Leser verärgert, sondern bei einer relativ wenig frequentierten Seite auch finanziell kaum etwas bringt, ist orniwetter.info als gemeinnütziges Projekt eines Kleinstunternehmens in einem schwierigen Marktumfeld auf freiwillige Unterstützung dringend angewiesen. Über den PayPal-Spendenbutton können Sie unkompliziert die Wertschätzung für diese Arbeit zum Ausdruck bringen und sichern somit den Fortbestand dieses kostenlosen Angebots. Ganz herzlichen Dank!
Falls Sie kein PayPal-Konto besitzen, können Sie direkt auf eines der angegebenen Konten unter den Kontaktdaten einzahlen.