“Ist’s an Lichtmess hell und rein, wird ein langer Winter sein.” Bei allen Vorbehalten, wie aussagekräftig mittelalterliche Bauernregeln in unserem neuen Klima noch sein mögen: Nimmt man statt des einen Lostags (2. Februar) die gesamte erste Februarwoche als Referenz und schaut dabei nicht auf das lokale Wetter, sondern auf die grossräumige atlantisch-europäische Zirkulation, so riecht es in diesem Jahr ziemlich streng nach langem Winter. Wobei dann wieder darüber diskutiert werden kann, ob ein Winter mit ausgeprägten milden Phasen mittendrin als „lang“ bezeichnet werden darf – wir beschränken uns jetzt hier mal auf den Februar, und der wird wahrscheinlich stark zweigeteilt.
Fest steht, dass das erste Monatsdrittel in Mitteleuropa unter dem Einfluss einer weitgehend antizyklonalen Westlage aussergewöhnlich mild ausfällt, nach aktuellem Stand schätzungsweise sechs Grad über der neuen Klimanorm 1991-2020. Das ist ein gewaltiges Brett, das in einem kurzen Monat trotz Schaltjahr kaum mehr auszugleichen ist, selbst wenn später noch eine ordentliche Kältewelle ihre Aufwartung machen sollte. Problem dabei: Im Osten Nordamerikas passiert genau dasselbe. Nachdem zu Monatsbeginn noch genügend arktische Luft über die Davisstrasse auf den Atlantik geblasen wird und die Tiefdruckproduktion ankurbelt, versiegt dieser Strom bald und es kehrt Ruhe ein. Hochdruck auf dem Atlantik bedeutet, dass der Zustrom milder Luftmassen nach Nordeuropa versiegt und sich über Skandinavien wie schon mehrmals in diesem Winter ein Kaltluftpolster ansammeln kann, das irgendwann ausbrechen muss – die Frage ist nur: wann? Die einen Modelle sehen das bereits um den 10. Februar herum, andere erst um den 20. – die Auswirkung auf das Temperaturmittel bei uns bei diesen unterschiedlichen Szenarien kann sich auch der Laie gut vorstellen. Bei dieser Modellunsicherheit müssen wir uns für einen Mittelweg entscheiden, der zum Glück auch von den zwei neuesten Läufen des Langfristmodells CFS getragen wird.
Von Grönland bis nach Südwesteuropa soll sich eine relativ starke positive Druckanomalie aufbauen, welche die Westwindzirkulation wärend etwa der Hälfte des Monats komplett abriegeln soll. Dem gegenüber steht eine negative Druckanomalie über fast dem gesamten Kontinent mit Zentrum über Nordskandinavien. Da hier ein bereits feststehendes Monatsdrittel Westlage drin enthalten ist, muss der Rest des Monats stark meridional geprägt sein, sprich die Zirkulation kippt über Nordwest auf Nord, in manchen Szenarien sogar auf Ost (dies ist allerdings eine Minderheit). Je nach Modell ist in der Übergangsphase um den 10. herum auch eine südliche Westlage denkbar, bevor es in einen Trog Mitteleuropa kippt. Der Rest ist heiteres Rätselraten: Bleibt der Hochdruck über dem Atlantik kleben, haben wir den nach der Lichtmess-Regel zu erwartenden „langen Winter“, verschiebt sich das Hoch etwas mehr zu uns, läuft die Sache wesentlich gemässigter ab, sprich trocken-kühl mit starken Tagesgängen der Temperatur.
Bei diesem interessanten Mix kommt laut CFS in Mitteleuropa am Schluss ein Monat mit einer positiven Temperaturabweichung von ein bis zwei Grad heraus, wobei das sehr milde erste Drittel feststeht und die genaue Verteilung der negativen Abweichung auf die beiden weiteren Drittel noch unklar ist. Von Grönland bis Norwegen sollte ein Minus gebucht sein, ob es hierfür knapp auch in Skandinavien und Teilen Südwesteuropas reicht, muss offen bleiben.
Weitaus unsicherer ist die Verteilung der Niederschläge. Nach dem hochdruckbestimmten ersten Drittel ist eine nasse Phase zur Monatsmitte wahrscheinlich, danach ist wieder alles völlig offen und abhängig von der genauen Hochposition im Raum Atlantik-Westeuropa. Einzig extreme Ausschläge sowohl in die sehr nasse wie sehr trockene Richtung kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschliessen.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Der in der milden Phase seit dem 22. Januar in Gang gekommene Kranichzug aus Westeuropa zurück ins nördliche Mitteleuropa dürfte spätestens Mitte Februar wieder in die andere Richtung gehen – mit diesem Hin und Her haben die Glücksvögel ja mittlerweile Erfahrung. Auch anderen Kurzstreckenziehern bleibt nichts anderes übrig, als sich den Wetterlaunen zu fügen. Spannend dürfte sein, wie sich ein weiterer Wintereinbruch auf die nordischen Gäste auswirkt: Die Seidenschwänze zum Beispiel haben sich über dem östlichen Mitteleuropa bereits bis nach Österreich ausgebreitet – ob da auch weiter westlich noch etwas drinliegt? Je nach Intensität einer Kältewelle könnten gegen Ende Monat seichte Gewässer zufrieren und Wasservögel zu weiterer Migration bewegen – dass auch grössere Seen mehr als etwas Eis am Ufer ausbilden, ist aufgrund der milden Vorgeschichte sehr unwahrscheinlich.
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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