Den Wonnemonat hätten wir also bereits hinter uns… Fragt sich bloss, was danach kommt? Für richtigen Sommer ist es eigentlich noch zu früh, sodass eine Wiederholung von 2018 eher unwahrscheinlich ist. Vielmehr entpuppt sich der Mai in letzter Zeit als jener Monat, der “macht, was er will”. Ein so garstiges Exemplar wie im Vorjahr muss es allerdings auch nicht gleich werden. Die Spannweite der Möglichkeiten ist gross, entsprechend tischen uns auch die Langfristmodelle alles Zumutbare auf. Die Vertrauenswürdigkeit einer solchen Prognose ist also eher im tiefen Bereich anzusiedeln. Es bleibt uns somit lediglich, aus den spärlich erkennbaren Trends ein Gesamtbild zusammenzubasteln, das auch statistisch eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufweist.

Zu den spät heimkehrenden Zugvögeln gehört der sowohl optisch wie akkustisch unauffällige Grauschnäpper (Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel, Mitte Mai 2008)
Der von uns ausgesuchte Modelllauf zeigt im Druckfeld fast ausschliesslich positive Anomalien über Europa. Dabei bilden sich zwei auffällige Zentren aus: Das erste umfasst fast den gesamten Nordatlantik und hat sein Zentrum über Island, das zweite sitzt im zentralen Mittelmeerraum. Schwäche zeigt dieser Hochdruck einzig (ausgerechnet!) von den Azoren bis zu den Britischen Inseln, eine deutlich negative Anomalie bildet sich allerdings nicht aus. Interpretation: Wir haben es mit einer (für den Frühling typischen) meridionalen Zirkulationsform zu tun, in der Westwindlagen selten oder kaum vorkommen. Östlich des Hochdruckrückens, der sich vom Mittelmeer nach Norden aufwölbt, fliesst häufig kühle Luft aus Norden nach Osteuropa und kann gelegentlich Mitteleuropa streifen. Atlantische Tiefdruckgebiete ziehen weit südlich über die Azoren ostwärts und werden vor den europäischen Westküsten blockiert, sodass sich zeitweise sehr warme, mitunter aber auch feuchte Südwest- bis Südlagen in Mitteleuropa einstellen können. Dieser Kampf (trocken-kühle Luftmassen aus Nord bis Ost gegen feucht-warme aus Südwest bis Süd) wird häufig genau über Mitteleuropa ausgetragen, es liegt also ein durchaus abwechslungreicher Monat mit einigem Überraschungspotenzial vor uns. Einzig der überdurchschnittliche Luftdruck wird wohl dafür sorgen, dass es nicht allzu sehr ausartet.
Die häufigen Südlagen sorgen dafür, dass die höchsten Temperaturabweichungen nach oben im zentralen Mittelmeerraum zu finden sind, ein gutes Stück davon soll allerdings auch über Mitteleuropa bis nach Südskandinavien vorstossen. Ein etwa zwei Grad wärmerer Mai gegenüber dem langjährigen Mittel liegt somit drin, in den föhnigen Alpentälern kann dies allerdings auch noch mehr werden, im nördlichen Mitteleuropa eher etwas weniger. Leicht zu kühle Zonen muss man in Europa mit der Lupe suchen gehen, am ehesten sind sie in Westeuropa möglich. Eine etwas deutlichere negative Abweichung wird im äussersten Osten gerechnet, am ausgeprägtesten mit bis zu zwei Grad rund ums Schwarze Meer.
Die oben beschriebene Druckkonstellation sorgt offenbar für eine wiederholt über Westeuropa liegende Luftmassengrenze, an der es zu häufigen Niederschlägen kommt (an deren Vorderseite, also dem östlichen Rand, in Form von kräftigen Gewittern). Entsprechend erstreckt sich eine nasse Zone im südwest-nordöstlicher Richtung von Spanien über Frankreich und Norddeutschland bis nach Schweden. Der Rest Europas dürfte eher zu trocken bleiben, Ausnahme bilden wohl hauptsächlich Gebirge, wo sich Gewitter entladen können – am deutlichsten wird dies in der Karte in Osteuropa sichtbar, das nur randlich vom Hochdruck profitiert.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Da die späten Heimzieher in der Mehrzahl auf der östlichen Route nach Europa gelangen, wird es wohl kaum mehr zu starken Verzögerungen kommen. Zwar sind die Windverhältnisse mit häufigem Nordwind im Osten nicht optimal, allerdings ist dieser nicht allzu stark und vor allem blockiert kein beständiges Tief mit Dauerregen mehr die Zugvögel, wie dies noch Anfang April der Fall war. Viele heimkehrende Langstreckenzieher werden allerdings mit Erstaunen feststellen müssen, dass der Frühling und somit der optimale Zeitpunkt für die Brut bei maximaler Nahrungsverfügbarkeit bei uns bereits gelaufen ist. Während Teil- und Kurzstreckenzieher auf immer frühere Vegetationsphasen aufgrund milder Winter und Frühlinge recht flexibel reagieren können, sitzen die Langstreckenzieher ahnungslos über die Witterungsabläufe bei uns in Afrika – ihre Zugzeiten sind genetisch programmiert und passen sich nur sehr langsam oder überhaupt nicht dem Klimawandel an – sie sind somit die grossen Verlierer in diesem ungleichen Wettrennen.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe gegenüber der Klimanorm 1981-2010

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010 (rot = trockener, blau = nasser als normal)
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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