Traue keinem April, bevor nicht mindestens drei Viertel davon gelaufen sind. Was sich im letzten Monat eindrücklich bewahrheitet hat, gilt genau so gut für den Mai. Der starke Austausch von Luftmassen zwischen Arktis und und Subtropen über die gemässigte Zone hinweg sorgt jeden Frühling für unberechenbare, oft heftige Wetterwechsel. Die Herausforderung darin besteht, jeweils die Länge der Witterungsphasen im voraus abschätzen zu können – es gelingt leider immer noch in den wenigsten Fällen, trotz laufender Verbesserung der Langfristmodelle.
Die Probleme der Langfristmodelle mit den chaotischen Verhältnissen im Frühling (zusätzlich verstärkt durch die immer noch aussergewöhnliche Situation bei den Wassertemperaturen im Atlantik) manifestiert sich in völlig gegensätzlichen Rechnungen des europäischen und amerikanischen Modells bis kurz vor Redaktionsschluss. Erst die letzten beiden Läufe von CFS näherten sich dem ECMWF an, was die Auswahl des für unsere Prognose relevanten Laufs etwas erleichtert. Zumindest für die erste Monatshälfte herrscht nun so etwas wie Konsens zwischen den Modellen, für die zweite Hälfte müssen wir uns wohl oder übel wieder mal überraschen lassen.
Um den 9./10. Mai herum soll sich über den Britischen Inseln und dem Nordmeer ein blockierendes Hoch aufbauen, das aber nicht nur zu dieser Jahreszeit gerne nach Nordskandinavien wegflutscht und von zwei Seiten gleichzeitig von Tiefs und Kaltlufttropfen unterlaufen werden kann, nämlich aus Nordwesten und Osten. Genau diese Situation zeigt der von uns gewählte Modellauf mit einer starken Hochdruckanomalie über Nordskandinavien und dem Eismeer (das zwar inzwischen keines mehr ist). Negative Anomalien werden von der Südspitze Grönlands über Island hinweg bis Nordwesteuropa gerechnet sowie über Westrussland. Über Südeuropa sind die Abweichungen derart gering, dass kein eindeutiges Muster entsteht. Ein bunter Wechsel aus Nordwest-, Nord- und Ostlagen dürfte die Folge sein, vielleicht mal unterbrochen durch eine Hochdrucklage ohne längeren Bestand. Zudem muss man nach wie vor mit der Austrogung des Nordatlantiktiefs in Richtung Iberische Halbinsel rechnen, auf deren Vorderseite für einige Tage eine starke Südströmung entstehen kann; diese Wetterlage mit Föhn und Sahrastaub ist uns ja mittlerweile bestens vertraut. Hinter die Signale, dass in der zweiten Monatshälfte vermehrt auch Westlangen ins Spiel kommen könnten, setzen wir vorerst mal ein Fragezeichen, auszuschliessen ist es jedoch nicht, sollte das Islandtief dominanter werden als derzeit gerechnet.
Daraus folgt, dass bei der Temperatur ausgerechnet über Mitteleuropa die grösste Unsicherheit besteht. Zwar wird im Mittel eine Abweichung von +1 Grad zur Normperiode 1991-2020 gerechnet, wir werden allerdings wie schon oben erwähnt von zwei Kältequellen im Nordwesten und Osten in die Zange genommen. Da braucht es jeweils nicht viel, um in relativ kurzer Zeit ein völlig neues Muster entstehen zu lassen, wir haben es in den letzten zwei Wochen vorgeführt bekommen. Relativ sicher ist nach derzeitigem Stand einzig eine extrem grosse Abweichung von teils über 6 Grad im Hohen Norden. Dies mindert zwar die Gefahr von extrem scharfen Kälteeinbrüchen direkt aus Norden nach Mitteleuropa, aber nicht jene auf Umwegen über den Westen oder Osten.
Beim Niederschlag scheint es für einmal keine riesigen Anomalien in West- und Mitteleuropa zu geben, sie schwanken um +/- 30 % vom langjährigen Mittel und die Verteilung dürfte eher zufällig von Schauer- und Gewittertreffern abhängen. Durch die Vielzahl möglicher unterschiedlicher Anströmungen zeichnet sich auch kein Lee- und Luv-Muster an den Gebirgen ab. Auffällig ist das extreme Niederschlagssignal bei gleichzeitiger Wärmeanomalie über Irak und Iran, hier scheinen tropische Luftmassen aussergewöhnlich weit nach Norden vorzustossen (ein Monatsmittel von über 24 °C in 1500 m wird hier gerechnet), wie dies bereits im April mit heftigen Unwettern von den Golfstaaten bis nach Pakistan der Fall war.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Der Mai scheint nach aktueller Modelllage in Europa in keiner Weise besonders auffällig werden zu wollen, was allerdings lokale Unwetter und kurze Kälterückfälle nicht ausschliesst. Die wechselnden Strömungsverhältnisse sollten auch die spät ziehenden Vogelarten nicht lange aufhalten. Ein gewisses Potenzial für Hochwasser ist an den Flüssen und Alpenrandseen gegeben, bedingt durch die weit überdurchschnittlichen Schneehöhen nach dem sehr niederschlagsreichen Winter und der verzögerten Schneeschmelze bzw. weiteren Schneezuwachs in der zweiten Aprilhälfte im Hochgebirge. Ein einziges Starkregenereignis bei gleichzeitig hoher Schneefallgrenze z.B. während einer Südlage könnte die Pegel rasch steigen lassen und eine Gefahr für am oder im Wasser brütende Vögel darstellen.
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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