Total überforderte Langfrist- und sogar Mittelfristmodelle waren das Thema der letzten Monate – und bleiben es vorderhand. Noch nie dagewesene globale Temperaturen und die rekordwarmen Ozeane bringen die Wettersysteme derart durcheinander, dass weder Wettermodelle noch Meteorologen diese Situation auf der Basis bisheriger Erfahrungen beurteilen können. Es herrscht schlichtweg das Chaos und man kann nur ungläubig staunend zugucken, was dies mit unserem Wetter macht. Jede Prognose über mehr als eine Woche hinweg wird so zur reinen Spekulation, der Dezember hat es soeben wieder bewiesen.
Ist das europäische Langfristmodell bereits seit einiger Zeit auf einen zu kalten Januar gebürstet, widersetzt sich das amerikanische dem bis auf wenige Einzelläufe (von denen jeden Tag vier gerechnet werden). Erst im allerletzten Lauf bildet CFS das ab, was die meisten Mittelfristmodelle bereits länger sehen, nämlich eine konsequente Atlantikblokade ab dem 7. Januar bis zum Ende der Läufe, das je nach Modell zwischen dem 11. und 17. Januar liegt. Dass die skandinavische Kaltluft mit Hilfe einer wie auch immer im Detail gearteten Nordlage Mitteleuropa erreichen wird, steht also fest. Folglich stellt sich die Frage, was in der zweiten Monatshälfte passiert und somit zur Nachhaltigkeit dieser Kälte. Aber auch die Intensität der Kälte ist noch völlig offen, hängt sie doch von einem einzigen Schlüsseltag, nämlich dem 7. Januar ab: Fällt mit der Kaltfront noch genügend Schnee bis in die Niederungen, wird bei der darauf folgenden Hochdrucklage in Mitteleuropa bodennahe Kaltluft hausgemacht. Bei manchen Modellen klappt das, andere sehen den Luftmassenwechsel hingegen fast völlig trocken und dann besteht auch noch die Möglichkeit, dass die Schneefallgrenze zu langsam sinkt und es rasch trocken wird, wenn die Kaltluft da wäre (der Klassiker und daher mein Favorit). Und ohne eine geschlossene Schneedecke – seien es auch nur wenige Zentimeter – wäre die darauf folgende Kälte eine eher gemässigte, was erhebliche Auswirkungen auf das Monatsmittel haben kann.
Der neueste CFS-Lauf sieht eine markante positive Druckanomalie, die sich über den gesamten Norden von Grönland bis Sibirien erstreckt, das Zentrum soll sich über dem Nordmeer vor der norwegischen Küste befinden. Diese Anomalie weitet sich südwärts über Westeuropa nach Tunesien aus, was der von den meisten aktuellen Mittelfristmodellen gerechneten Südostverlagerung des blockierenden Hochs zur Monatsmitte entspricht. Ob sich in der Folge der Block über dem Atlantik erneuert oder die Westströmung wieder in Gang kommt, ist derzeit noch völlig offen. Über Osteuropa wird eine negative Druckanomalie gerechnet, sie wird für die Nordlage ab dem 7. Januar verantwortlich sein. Weitere Wetterlagen die mit am Tisch sitzen: Zu Beginn südliche Westlage, nach der Nordlage in Richtung Monatsmitte entweder Hoch Mitteleuropa oder antizyklonale Nord- bis Nordwestlagen. Eine Erneuerung des Atlantikblocks könnte auch Ost- bis Nordostlagen zur Folge haben, die mögliche Westlage wurde bereits angesprochen. Also genau das eingangs erwähnte Chaos, man darf gespannt sein…
Die Kälteanomalie über Nord- und Nordosteuropa ist unbestritten, da von den meisten Modellen recht konstant abgebildet. Unsere Karte zeigt auch eine recht deutliche negative Abweichung in Mittel- und Südeuropa, die meines Erachtens zum aktuellen Zeitpunkt übertrieben scheint. Insbesondere die -2 bis -4 Grad am Alpennordrand können nur zustande kommen, wenn sich am 7. Januar eine geschlossene Schneedecke bildet und diese durch weitere Stauniederschläge gelegentlich aufgefrischt wird. Ansonsten sehe ich einen eher durchschnittlichen Januar in Mitteleuropa, allenfalls einen leicht negativen, vorausgesetzt die West-Mildbrumme wird nicht zum Ende des Monats doch wieder angeworfen, was in den letzten Wintern eher die Regel als die Ausnahme war (die letzten deutlich zu kalten Wintermonate waren Februar 2018 und Januar 2017).
Die Karte mit den Niederschlagsabweichungen setzt auf ein Szenario, wonach abgesehen von der nassen Phase zu Beginn des Monats in Mitteleuropa nicht mehr viel nachkommt. Die Neigung zu normalen Niederschlägen im östlichen Mitteleuropa stützt die Annahme häufiger Nordlagen bei antizyklonalem Einfluss im Westen. Insbesondere die Alpensüdseite dürfte also recht trocken bleiben. Schön abgebildet wird übrigens auch der Lake-Effect an der deutschen Ostseeküste bei nördlicher bis nordöstlicher Anströmung, was zu ordentlichen Schneemengen führen kann.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Der Kälteeinbruch ab dem 7. Januar dürfte viele bisher bei uns ausharrende Teil- und Kurzstreckenzieher verscheuchen. Auch dass weitere Winterflüchtlinge aus dem Norden zu uns stossen werden, ist wahrscheinlich. Die bisher in der Nordosthälfte Deutschlands ausharrenden Seidenschwänze könnten durchaus noch weiter nach Süden und Westen ausweichen, und sollte die Kälte nachhaltig genug sein, dass auch seichte Binnengewässer oder Küstenabschnitte an der Ostsee zufrieren, sind Winterfluchten von Wasservögeln an tiefere Binnengewässer möglich. Wie lange sich die bereits vorhandenen Bergfinkenschlafplätze halten werden, ist anhand der lokal sehr unterschiedlich ausgefallenen Buchenmast (Trockenstress im Früh- und Spätsommer) schwierig einzuschätzen. Eine grössere Verlagerung ist zu erwarten, sobald sich eine geschlossene Schneedecke bildet.
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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kurt nadler am 6. Januar 2024 um 10:17 Uhr
Hallo fabienne
war lang weg von deinen seiten und freu mich, dass es mit den monatsprognosen weitergeht.
die winterflucht der gänse äußerte sich an der österr. ostgrenze die letzten tage deutlich mit recht konsequenten südwärts gerichteten zugbewegungen. seidenschwänze sah ich seit vielen jahren keine mehr, obwohl ich viel unterwegs bin. bin gespannt, ob sich das (heuer) nochmals ändert.
Für den frostsensiblen Gartenbau wird sich im österr. Pannon wohl eine gewünschte Schneedecke ausgehen, wenn nicht zuvor der Wind zu sehr aufbraust.
Spannend wirds auch, ob der Neusiedler See eislauffähig wird, was im vergangenen Winter (Februar) bis 4 Tage lang funktionierte.
Was mit den weithin vorhandenen Hochwasserlacken in der freien Landschaft sein wird, ist wohl auch noch offen, wohl werden sie aber rauh frieren. Die Donau ist wieder im Mittelmaß, doch March und Thaya könnten noch Überflutungen aufweisen, und in den Leithaauen stehen noch Bereiche unter Wasser.
Mit besten Grüßen
Kurt