Wir erleben gerade ein Déjà-vu… Vor exakt zwei Jahren war es, als zum Jahresende eine rasche Stratosphärenerwärmung (kurz SSW) die Januarprognose extrem unsicher machte und die dann auch ordentlich in die Binsen ging. Nun spielt sich exakt dasselbe in der oberen Atmosphäre wieder ab, nur dass wir diesmal – anders als vor zwei Jahren – bereits eine gestörte Westwindzirkulation auf dem Atlantik haben. Copy-Paste mit eingebautem Lerneffekt liegt also nicht drin, wär ja auch zu schön ;-) Stattdessen zerbrechen wir uns erneut den Kopf, ob sich die Zonalwindumkehr bis in die tieferen Atmosphärenschichten durchsetzen wird und was das für den weiteren Verlauf dieses Winters bedeutet, der nach den Modellrechnungen vom Herbst eigentlich ein West- bis Südwestlagen-Winter werden sollte.

Umherstreifende Wacholderdrosseln sind unabhängig von der Witterung in jedem Winter zu beobachten (Muri bei Bern, Ende Januar 2019)
Ein SSW bringt regelmässig die Wettermodelle in der Mittelfrist ins Trudeln, das ist auch diesmal nicht anders. Für das erste Monatsdrittel ist die Sache noch einigermassen überschaubar, danach gehen die Rechnungen diametral auseinander. Es obliegt dann der Einschätzung mittels Erfahrung und etwas Bauchgefühl der Meteorologen, aus dem reichhaltigen Salatbuffet der Modelle jene Häppchen herauszupicken, die am vertrauenswürdigsten erscheinen: Kann gut gehen – oder auch nicht…
Aus dem alten Jahr nehmen wir noch die blockierte Zirkulation mit: Ein umfangreiches Tiefdrucksystem über ganz West- und Mitteleuropa bewegt sich kaum vom Fleck und füllt sich nur langsam auf. Die gemässigten kalten Luftmassen sorgen für ein sehr trübes und leicht unterkühltes erstes Monatsdrittel, was oberhalb von etwa 500 m ordentliches Winterwetter bedeutet, im Flachland läuft das hingegen eher unter tristem Spätherbst. Da sich der Tiefkern eher leicht westlich von uns befindet, strömen aus südlicher bis südöstlicher Richtung immer feuchte und für ordentlichen Winter zu milde Luftmassen nach Osteuropa. Was wiederum zur Folge hat, dass sich die Feuchtigkeit auf der Alpensüdseite in Form von Schnee bis in tiefe Lagen entlädt. Doch wenden wir uns nun unserer Spekulation für den Gesamtmonat zu: Der von uns präferierte Lauf – der etwa ein Viertel aller Modellläufe repräsentiert – zeigt eine markante Tiefdruckanomalie, die sich von den Azoren bis nach Mitteleuropa erstreckt. Im südlichen Mittelmeerraum ist die Abweichung neutral, im gesamten Norden ist eine positive Druckabweichung auszumachen, die ihre stärkste Ausprägung über Grönland und dem Nordatlantik aufweist. Diese Abweichungen kommen durch die gestörte Zirkulation in der ersten Monatshälfte zustande und würden noch viel stärker ausfallen, würden sie länger anhalten. Doch dem wirkt der Trend zur Zonalisierung (sprich: Die Westwindzirkulation auf dem Atlantik soll sich in der zweiten Monatshälfte erholen) entgegen. Nach diesem Szenario hätten wir es also mit einem zweigeteilten Monat zu tun. Erste Monatshälfte mit Tief oder Trog Mitteleuropa, eventuell (Süd-)Ostlage oder südliche Westlage. Zweite Monatshälfte mit West- und Südwestlagen, möglicherweise auch als Übergangsphase Hochdruckbrücke Mitteleuropa. Wie gesagt schlagen die Modelle Purzelbäume und tischen auch mal ein extrem kräftiges West- oder Mittleuropahoch auf, diese Lösungen sind aber derzeit in der deutlichen Minderheit.
Aus der Temperaturkarte des Gesamtmonats sind diese zwei unterschiedlichen Monatshälften für den Laien nur schwer herauszulesen, da sich die Extreme gegenseitig aufheben. Dort, wo also ein ungefähr durchschnittlicher oder nur leicht zu milder Monat gezeigt wird, kann durchaus die erste Monatshälfte unterkühlt und die zweite mild ausfallen – oder umgekehrt. Die eher negative oder nur leicht positive Abweichung in Westeuropa ist dem ersten Monatsdrittel geschuldet, das unterkühlte Nordeuropa hingegen resultiert auf der dortigen Konzentration der Kälte in der zweiten Monatshälfte. Eindeutig ist die Sache in Südosteuropa: Dort soll es nach aktueller Lage mehr oder weniger den ganzen Monat zu mild bleiben.
Entgegen der landläufigen Meinung muss tiefdruckbestimmtes Wetter wie im ersten Monatsdrittel für Mitteleuropa gezeigt nicht zwingend auch nasses Wetter bedeuten. Die in der Karte berechneten Niederschlagsüberschüsse sollen zum grössten Teil erst in der zweiten Monatshälfte mit dem Wiedererstarken der Westwindzirkulation fallen, was auch bedeutet, dass dies selten in Form von Schnee in den Niederungen der Fall sein wird. Während des tiefdruckbestimmten und kalten ersten Monatsdrittels – wenn also Schnee bis in tiefe Lagen möglich wäre – sind die Niederschlagsmengen eher bescheiden. Wie schon im Dezember wird hingegen die Alpensüdseite erneut im Schnee versinken. Das zu trocken gerechnete Norwegen verdeutlicht, dass Nordeuropa nördlich des Tiefdruckgürtels häufig unter Hochdruckeinfluss und in einer Ostströmung verbleibt.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
So lange bei kalter Witterung nur geringe Niederschlagsmengen fallen, schlagen sich die grossen Bergfinkenschwärme weiterhin an unserer Buchenmast die Bäuche voll, und nach wie vor harren etliche Kraniche im nördlichen Mitteleuropa aus. Die Chancen für eine länger anhaltende, geschlossene Schneedecke ist unterhalb von 500 m gering, somit sind kaum weitere Winterfluchten zu erwarten. Solche finden aber nach wie vor am Alpenhauptkamm und südlich davon statt, Gebirgsvögel können also an überraschenden Orten auftauchen. Für rastende Wasservögel können die Zugänge zu flachen Uferzonen oder kleineren Gewässern in der ersten Monatshälfte durch Eisbildung erschwert werden, ein weitergehendes Zufrieren steht aber momentan nicht im Raum.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur gegenüber der Klimanorm 1981-2010

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010 (rot = trockener, blau = nasser als normal)
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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Hans-Jörg Stöckli am 8. Januar 2021 um 14:33 Uhr
Sali Fabienne
Vielen Dank für deine Prognosen und Statistiken.
Gruss von Hans-Jörg