Wer nicht schon längst selbst in der Natur festgestellt hat, dass sich das Klima in Mitteleuropa markant verändert, bekommt es spätestens beim Lesen unseres Blogs regelmässig mit. Wieder mal stellen wir eine rekordtiefe Eisbedeckung in der Arktis fest, und das hat Auswirkungen auf die grossräumige Zirkulation der Nordhemisphäre. Die früheren Regelfälle verschieben sich wegen des späteren Zufrierens der Arktis um etwa einen Monat. Der Goldene Oktober fand im November statt, die im November üblichen Südföhnlagen kommen nun eben erst im Dezember, und das Weihnachtstauwetter (so es denn überhaupt etwas zu tauen gibt), verursacht durch kräftige Westlagen, verschiebt sich wahrscheinlich in den Januar.

Es muss nicht tiefster Winter werden, damit buntgefiederte Gäste an der Futterstelle auftauchen (Distelfink/Stieglitz, Bern, Dezember 2012)
Noch selten sahen wir die Läufe der Langfristmodelle für den kommenden Monat so einig. Egal, was man sich anschaut: Überall ist dasselbe Muster zu finden. Blockierendes Hochdruckgebiet über Ost- bzw. Nordosteuropa, stabiles und nach Norden aufsteilendes Azorenhoch und dazwischen von Island bis ins westliche Mittelmeer Tröge und abtropfende Tiefs. Das war mal das typische meridionale Zirkulationsmuster des Novembers, nun verschiebt es sich also mehr und mehr in den Dezember. Wann sich das Dezember-typische Westlagenmuster einstellen soll, bleibt anhand dieser Karten ein Rätsel. Vielleicht zum Jahreswechsel oder noch später – wir werden sehen…
Die Qual der Wahl für unsere Prognose liegt also für einmal nicht in unterschiedlichen Grundszenarien, sondern im Detail, wie stark ausgeprägt Blockadelage sowie Stärke und Häufigkeit der westeuropäischen Tiefdruckgebiete sein werden. Taktisch ist es klüger, sich nicht auf Extremrechnungen einzulassen, daher haben wir einen Lauf rausgepickt, der die ganze Sache gemässigt angeht. Damit soll aber auch gleich vorausgeschickt werden, dass das Gefälle der Temperaturabweichung von Ost nach West durchaus stärker auftreten kann als dargestellt. Dass die Grosswetterlage mehr oder weniger den ganzen Monat persistent bestehen bleibt, liegt also zumindest im Bereich des Möglichen. Südlagen aller Art werden also dominieren, insbesondere Trog Westeuropa, Tief Britische Inseln und Süd zyklonal, aber auch Südostlagen sind zu erwarten. Tropft ein Tief nach Süden ab, kann sich für einige Tage eine Hochdruckbrücke über Mitteleuropa bilden, bevor sich das nächste Tief von Island in Richtung Biskaya bewegt. Für andere Grosswetterlagen bleibt bei der aktuellen Kartenlage wenig Platz, Ausnahme bildet gleich der Monatsbeginn mit Trog Mitteleuropa – eine zum Grosswettertyp Nord zugehörige Lage, die uns kurz etwas Winter bringt.
Diese Konstellation verursacht ein – wenig überraschend – stark überwärmtes Nordeuropa, aber auch weite Teile Mittel- und Südeuropas werden einen deutlich zu milden Dezember erleben. Eher unterdurchschnittlich wird es an den Westküsten Europas von Irland bis nach Portugal und sogar noch weiter nach Süden bis Westafrika, ein zweiter Kältepol wird nordöstlich des Schwarzen Meers gerechnet. Interessant ist die Verteilung im Alpenraum: Bis zu +4 Grad inneralpin deutet auf häufigen Föhneinfluss hin, während im nördlichen Alpenvorland ein durchschnittlicher Monat gerechnet wird – der Hochnebel lässt also weiter grüssen, der warme Südföhn gleitet einfach darüber hinweg.
Durch die dominierenden Südlagen wird die Alpensüdseite und überhaupt der westliche und zentrale Mittelmeerraum deutlich überdurchschnittliche Niederschlagsmengen erhalten. Aufgrund des nach wie vor zu warmen Mittelmeers ist mit Unwettern und Überflutungen zu rechnen. Mitteleuropa, aber insbesondere Nord- und Osteuropa bleiben deutlich zu trocken. Ausnahme bildet in fast allen Modellrechnungen das Gebirge in Südnorwegen, wo sich südöstliche Winde stauen. Die extrem trocken gerechnete norwegische Küste deutet darauf hin, dass Westlagen in diesem Monat keine Chance haben.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Der Trend zu immer später (oder gar nicht mehr) eintreffenden Wintergästen aus dem Norden setzt sich auch in diesem Jahr fort. Grund für Ausweichbewegungen haben nur Arten, die einen sehr grossen Bruterfolg aufzuweisen haben und daher bei der Nahrungssuche unter Druck geraten. Echte Winterfluchtbewegungen finden nur wenige statt, möglicherweise werden die soeben wegen des kurzen Wintereinbruchs nach Südwesten gezogenen Kraniche im Dezember wieder an die warme Ostsee zurückkehren, wenn es ihnen in der Nähe des Atlantiks zu garstig wird. Winterfluchten in die Täler sind hingegen von Gebirgsvögeln auf der Alpensüdseite und in inneralpinen Gebieten zu erwarten, da in höheren Lagen massiv Schnee fallen wird.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur gegenüber der Klimanorm 1981-2010

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010 (rot = trockener, blau = nasser als normal)
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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