Wer hätte nach der extrem trockenen und sonnigen Periode von Ende Mai bis Anfang Juli gedacht, dass aus dem bevorstehenden Hochsommer einer der alten Schule wird? Nun: Die orniwetter- und fotometeo-Blogleserschaft dürfte wenig überrascht sein, ausser vielleicht gleich an der Heftigkeit des Kontrasts. Was die treue Leserschaft auch weiss und an dieser Stelle gerne noch mal erwähnt wird: Bis Mitte August dauert diese einmal eingefahrene Phase in der Regel, hinter den Hochsommer kann man somit einen Haken setzen. Viel spannender ist also heute die Frage, wie der Spätsommer wird.
Im Wissen um die Siebenschläfer-Regel und dass vor Mitte August nichts Neues mehr angefangen wird (was die Lang- und Mittelfristmodelle auch in weitgehender Einigkeit bestätigen), muss eine Monats-Mittelkarte so gelesen werden, dass darin eine Hälfte zonale Zirkulation drinsteckt und erraten werden, was die zweite Hälfte bereit hält. Zum Glück gibt es inzwischen auch öffentlich zugängliche Langfristmodelle, welche einzelne Wochen abbilden, seither sind die Überraschungen für die zweite Monatshälfte etwas weniger geworden, wenn auch immer noch möglich. Etwas Statistik, die wir aufwändig mit unserer Grosswetterlagen-Datenbank betreiben, hilft in vielen Fällen weiter.
Der diesmal favorisierte CFS-Lauf zeigt eine deutliche negative Druckanomalie über ganz Nordeuropa, die bis knapp südlich der Alpen reicht. Daran schliesst sich im Süden eine leicht positive Anomalie von den Azoren bis zur Iberischen Halbinsel an, wobei eine Brücke besteht zur deutlich ausgeprägteren Anomalie, die von Zentralsibirien bis nach Anatolien reicht. Ebenfalls hohes Geopotenzial wird über Grönland bzw. etwas westlich davon gerechnet. Damit ist klar: Der Monat wird überwiegend zonal, was für die erste Monatshälfte sogar in extremer Ausprägung recht gesichert erscheint. Die vorherrschenden Grosswetterlagen in der ersten Hälfte sind somit West zyklonal wie gehabt, Nordwest zyklonal bis eventuell hin zum Trog Mitteleuropa, wobei auch ein Tief Mitteleuropa nicht ausgeschlossen werden kann. Viel mehr Auswahl steht da vorerst nicht auf dem Menuplan. In der zweiten Monatshälfte verschiebt sich der Tiefdruck im Norden etwas nach Osten und es soll sich ein neues Tief auf dem Atlantik südwestlich von Irland bilden. Mitteleuropa fällt dann so ziemlich zwischen Stuhl und Bank, d.h. der Einfluss wird antizyklonaler, allerdings ohne dass eine deutlich bevorzugte Anströmung ausgemacht werden kann. Tendenziell dürften zunächst noch Luftmassen aus nördlicher Abstammung dominieren, während gegen Monatsende ein Trend zu Südwestlagen auszumachen ist.
Im Mittel resultiert daraus bei uns ein gegenüber der neuen Klimanorm unterkühlter Monat, was ungefähr einem August alter Schule (Klimanorm 1961-90) entsprechen dürfte. Die negative Abweichung umfasst fast ganz Nordeuropa von Grönland bis Skandinavien sowie Mitteleuropa, in abgeschwächter Form auch noch den zentralen Mittelmeerraum. Die auf unserer Karte unten gezeigte Abweichung der Luftmasse in 1500 m wird allerdings am Boden überall dort wettgemacht, wo derzeit sehr hohe Abweichungen der Wassertemperatur herrschen (also fast der gesamte Atlantik inkl. Nordmeer und Nordsee und Mittelmeer). Aufgrund dieser aussergewöhnlichen Situation ist die Karte mit den Abweichungen in 2 m Höhe angefügt, die wir sonst nur im Winterhalbjahr verwenden. Positive Anomalien finden wir auf der Iberischen Halbinsel und südwestlich davon, dann wieder in der Ägais und deutlicher ausgeprägt weit im Osten.
Weiterhin nimmt die über den Atlantik streichende Luft aufgrund der hohen Wassertemperaturen mehr Feuchtigkeit auf als üblich und entlädt sie auf dem Festland vornehmlich dort, wo sich ihr Hindernisse in den Weg stellen. Dies geschieht noch in der ausgeprägten zonalen Lage während den ersten zehn bis 15 Tagen des Monats, bei nördlicher Anströmung wird die Luft sofort trockener und bei Südwest wirkt wieder der Föhneffekt im Alpenvorland. Somit sind vielerorts durchschnittliche bis überdurchschnittliche Monatsniederschläge zu erwarten, etwas zu trocken dürfte die Alpensüdseite werden. Kaum gelindert werden dürfte die Trockenheit dort, wo es am nötigsten wäre, nämlich in Griechenland und Süditalien – solches wäre aber im August auch völlig aussergewöhnlich.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Ob die überdurchschnittlichen Niederschläge ausreichen werden, um die Lage an den Flachgewässern im östlichen Mitteleuropa zu normalisieren, wird sich erst noch weisen müssen. Ein über Monate ausgetrocknetes Gewässer wird nicht innerhalb weniger Tage voller Leben sein und den Zugvögeln viel Nahrung bieten können, aber es wäre vielleicht ein Anfang in Richtung Normalisierung für den Herbst und das nächste Jahr – sofern denn auch in den kommenden Monaten die Niederschläge zumindest ungefähr im Normalbereich fallen. Normalisiert hat sich die Lage bereits in Alpennähe. Problematisch könnte die längere kalte Phase für manche Jungvögel im Hochgebirge werden, fällt doch immer wieder Schnee bis 2000 m herab.
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
Finden Sie die Prognosen und Artikel von orniwetter.info nützlich und möchten sie nicht mehr missen? Da die Schaltung von aufdringlicher Werbung nicht nur viele Leser verärgert, sondern bei einer relativ wenig frequentierten Seite auch finanziell kaum etwas bringt, ist orniwetter.info als gemeinnütziges Projekt eines Kleinstunternehmens in einem schwierigen Marktumfeld auf freiwillige Unterstützung dringend angewiesen. Ohne die Entwicklung eigener Prognosekarten, finanziert durch die treue Leserschaft dieser Seite, wäre das Projekt im Frühling 2021 nach dem Verlust der Karten bei meteociel.fr gestorben. Über den PayPal-Spendenbutton können auch Sie unkompliziert die Wertschätzung für diese Arbeit zum Ausdruck bringen und sichern somit den Fortbestand dieses kostenlosen Angebots. Ganz herzlichen Dank!
Noch besser, weil für die Empfängerin spesenfrei, sind direkte Einzahlungen auf eines der angegebenen Konten unter den Kontaktdaten.
Spendenbarometer letzte 12 Monate (orniwetter + fotometeo zusammen, Erklärungen dazu hier):