Von einem Extrem ins nächste – so scheint das Motto des Jahres 2023 zu lauten. Es würde also wenig erstaunen, wenn es in diesem Stil weiterläuft und auch im September überraschende Wendungen eintreten wie im August die Rekord-Hitzewelle, die ebensowenig von den Langfristmodellen erkannt wurde wie der darauf folgende Kälteeinbruch mit wiederum Rekord-Niederschlägen im Alpenraum. Kein Wunder, sind doch die Modelle mit einer Realität konfrontiert, die zu jener Zeit, als sie entwickelt wurden, höchstens in manchen Alpträumen zu finden waren.

“Aus dem Weg, du dumme Gans!” Dichtestress bei den mausernden Gänsesägern auf einer Schlickbank im Neuenburgersee, 08.09.2014
Was bleibt uns aber anderes übrig, als uns an das zu halten, was uns die Langfristmodelle präsentieren? Die Meteorologin muss jedoch das bisher Unmögliche denken und in den Einzelläufen der Modelle mit detektivischem Spürsinn genau nach diesen extremen Wendungen suchen. Das kann in einem ohnehin schwierig zu prognostizierenden Monat, der in diesem Jahr zusätzlich durch die zu erwartende hohe Tropensturm-Aktivität auf dem Atlantik mit Unsicherheiten behaftet ist, tüchtig in die Hose gehen. Wer aber nichts riskiert, gewinnt auch nichts. Und in einem experimentellen Projekt wie diesem hier gibt es auch nichts zu verlieren – die Dauerkritiker lassen sich ja auch von guten Ergebnissen nicht beindrucken und rufen dann: Alles nur Zufall!
Der CFS-Lauf unserer Wahl orientiert sich im Groben an die Vorgabe des aktuellen ECMWF-Langfristmodells. Das erste Monatsdrittel ist geprägt von Hochdruck über Mittel-, Nord- und Osteuropa, was bei uns Hochdruck-, Ost- und Südlagen zur Folge hat. Entsprechend wird es zunächst mal sehr sonnig und warm mit Höchstwerten, die in den tiefsten Lagen bis in den Hitzebereich vorstossen. Da wird aber auch Tiefdruck über dem nahen Atlantik bzw. Westeuropa gerechnet, der zur Monatsmitte nach Mitteleuropa progressieren dürfte, hier ist also mit einer Woche bis zehn Tagen wiederum sehr niederschlagsreichem und eher kühlem Wetter zu rechnen. Inwieweit sich gegen Monatsende der statistisch wahrscheinliche Altweibersommer duchsetzen kann, ist derzeit noch offen. Es sieht nach einem Kampf zwischen Tiefdruck im Westen und Hochdruck im Osten aus, mit ungewissem Ausgang für Mitteleuropa: Trockener Föhn oder doch wieder die Schütte unter einer nahezu stationären Luftmassengrenze? Unser CFS-Lauf belässt die Niederschläge eher im Westen. Bei relativ weit im Norden gelegener Hochdruckzone ist aber auch möglich, dass sich die atlantischen Tiefs “untendurch” mogeln und eine südliche Westlage etablieren.
Über den gesamten Monat gemittelt kommt in ganz Europa nördlich der Alpen ein deutlich zu warmer September heraus, mit bis zu drei Grad über dem langjährigen Mittel. Normal bis etwas unterdurchschnittlich wird der Mittelmeerraum gerechnet, wobei man hier angesichts der hohen Wassertemperaturen durchaus ein Fragezeichen setzen darf – möglicherweise können diese aber mangelnden Sonnenschein und Niederschlagsabkühlung nicht ganz wettmachen. Auffällig ist nach wie vor die Diskrepanz zwischen kalter Luftmasse in der Höhe und deren geringer Auswirkung auf die Erd- bzw. Wasseroberfläche in weiten Teilen des Nordatlantiks und vor allem des Nordmeers, daher haben wir unten zum Vergleich wieder beide Karten eingestellt.
Wie weiter oben schon angedeutet, zeichnet sich beim Niederschlag in Mitteleuropa ein klares Gefälle zwischen nassem Westen und trockenem Osten ab. Die Unwettersaison im Mittelmeer geht schon früh los, was angesichts der hohen Wassertemperaturen nicht erstaunt. Es gibt Modellläufe, die durchaus noch weit mehr Niederschlag sehen, insbesondere vom Osten Spaniens über Südfrankreich bis in die West- und Südalpen.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Bei anhaltendem Hochdruckwetter wird der Vogelzug zunächst wohl eher unauffällig verlaufen, da in grosser Höhe stattfindend und mit nur kurzer Rast – Beobachtungen sind daher Glückssache. Das kann sich zur Monatsmitte ändern: Sollte sich Tief Mitteleuropa tatsächlich etablieren, ist mit massivem Zugstau zu rechnen, dessen Ende in Spitzenzugtage münden kann. Das Hochwasser der Alpenflüsse von Ende August hat zahlreiche Schlickflächen und Tümpel hinterlassen, die Beobachtungsplätze rastender Zugvögel dürften sich daher auf zahlreiche Gebiete verstreuen.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe gegenüber der Klimanorm 1991-2020

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur 2 m über Boden gegenüber der Klimanorm 1991-2020

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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