Auf etwas ist in fast jedem Jahr Verlass, egal wie blockiert und eingefahren die nordhemisphärische Zirkulation im Frühling war: Irgendwann Ende Juni bis Anfang Juli stellt sich so etwas wie Normalität ein – wenn auch eine, die man sich vor 30 bis 50 Jahren noch kaum vorstellen konnte. Um fast 1.5 Grad hat sich der Sommer seither in Mitteleuropa erwärmt, Tendenz weiter steigend. Da ist man froh, wenn wenigstens der Niederschlag halbwegs in normalen Mengen fällt, und dieser möglichst nicht an einem einzigen Tag im Monat. Die regelmässige Zufuhr atlantischer Luftmassen steigert die Chancen auf “gerechte” Verteilung des Wassers, zumindest in dieser Beziehung stehen die Aussichten für den Juli 2023 nicht allzu schlecht.

Sind die Niederschläge im Sommer zeitlich günstig verteilt, steigen die Chancen auf guten Bruterfolg (junge Beutelmeise, Nordwestungarn Ende Juli 2009)
Rechtzeitig zum Siebenschläferzeitraum hat sich die nordhemisphärische Zirkulation ihrer Pflicht besonnen und sich einigermassen normalisiert, nachdem fast den gesamten Frühling und Frühsommer alles auf dem Kopf stand. Zwar stehen die Langfristmodelle tendenziell immer noch auf Block, das ist aber nicht mehr das gewaltige Bollwerk mit kräftigem Hoch von Island bis Skandinavien, sondern eher ein Osteuropahoch, das der Westströmung vom Atlantik her zwar etwas entgegenhält, aber zu wenig Persistenz aufweist, um sie gleich ganz von uns fernzuhalten. Die Strömung wird dann über Mitteleuropa häufig nach Nordosten umgelenkt; ein Muster, das sich mit Ausnahme von 2021 in den letzten Sommern zur Normalität entwickelt hat, also mit häufigen Südwestlagen, Trog Westeuropa, Tief Britische Inseln und winkelförmigen Westlagen.
Das amerikanische Langfristmodell CFS zeigt in den letzten drei Läufen des Vormonats wieder eine stärkere Zonalisierung mit Westlagen in Mitteleuropa, das europäische Modell hingegen will davon momentan nichts wissen, obwohl vor Wochenfrist schon öfters ähnlich gerechnet. Will man beide Trends nicht völlig ignorieren, muss man den Kompromiss wählen, und dieser wurde im 00z-Lauf vom 30.06. gefunden: Gerechnet wird eine negative Geopotenzial-Anomalie von den Azoren über die Britischen Inseln und Skandinavien hinweg nach Nordosten, wobei die stärkste Abweichung über Schottland zentriert wird. Eingeklemmt ist diese Tiefdruckrinne zwischen einem starken Hochdruckblock über Neufundland und dem westlichen Nordatlantik sowie einem etwas weniger starken, aber für uns relevanten über Osteuropa. Im Mittel ergibt dies eine West-Südwest-Strömung von Portugal über Mitteleuropa bis ins Baltikum. Südwest- und Westlagen werden also diesen Monat prägen, dazu Austrogungen über Westeuropa, die für kurze Hitzewellen verantwortlich sind, vorübergehend kann sich auch mal ein Hoch über Mitteleuropa einnisten, wenn die Austrogung weit westlich genug stattfindet.
Die Grenze zwischen leicht unterkühlten Luftmassen und solchen mit positiver Abweichung verläuft im Mittel von Südwest nach Nordost genau mitten durch Mitteleuropa. Am Boden ergibt dies mit viel Sonnenschein und gelegentlich föhnigen Effekten für Süddeutschland und den Alpennordrand ein Plus von ein bis zwei Grad gegenüber der Vergleichsperiode 1991-2020. Rechnet man die bereits gesicherte negative Abweichung der ersten fünf Tage mit ein, so ist klar, dass das Plus entweder durch Hitzewellen oder eine dreiwöchige hochsommerliche stabile Phase erreicht werden muss, die Konstellation spricht aber eher gegen das letztere Szenario. An der häufiger bewölkten Nord- und Ostsee dürfte ein knappes Minus resultieren, für die grosse Fläche dazwischen irgendwas im Normalbereich. Extreme Abweichungen von 1991-2020 werden fast nirgends in Europa gerechnet, die höchsten Ausschläge von +3 bis +4 Grad werden ausnahmslos über dem Meer gezeigt (Atlantik vor Portugal sowie Nordmeer zwischen Schottland und Spitzbergen und darüber hinaus), was den rekordhohen Wassertemperaturen dort geschuldet ist.
Ist das Meer aussergewöhnlich warm, kann die darüber streichende Luft auch mehr Feuchtigkeit aufnehmen und später über dem Festland wieder abladen. Genau dies wird in einem Streifen von nördlich der Azoren über West- bis Nordeuropa gezeigt, wobei die in diesen Regionen stehenden Gebirge am meisten abbekommen (Pyrenäen, Massiv Central, Schottland, Südnorwegen), in etwas abgeschwächter Form auch die mitteleuropäischen Mittelgebirge und die Alpen. Das nördliche Alpenvorland bekommt nur etwa die Hälfte des üblichen Niederschlags, eine Folge von föhnigen Effekten bei häufig südwestlicher Anströmung. Überdurchschnittlich nass wird auch die Balkanregion gerechnet, das sind gewittrige Stauniederschläge durch südliche Anströmung am Rande des Osteuropahochs.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Ein durchschnittlich nasser Juli wird auch nicht mehr retten können, was die lange Trockenperiode der letzten zwei bis drei Monate in manchen Regionen angerichtet hat, speziell rund um die Ostsee. Die dort völlig ausgetrockneten Flachgewässer boten und bieten weder Platz für Brutvögel noch Nahrung für die schon bald aus dem Norden zurückkehrenden Zugvögel. Besser sieht es diesbezüglich in Alpennähe aus: Die durch den geringen Schmelzwassereintrag niedrigen Pegelstände der Alpenrandseen bieten in ihren Uferzonen frei liegende Schlickflächen an – wer rastende Limikolen beobachten will, wird also am ehesten hier fündig.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe gegenüber der Klimanorm 1991-2020

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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