Die ersten hartgesottenen Vogelarten sind bereits aus ihrem Winterquartier zurück und stecken ihr Brutrevier ab. Höchste Zeit also, den meteorologischen Winter (Dezember-Februar) 2014/15 Revue passieren zu lassen und mit der Ende Oktober getroffenen Prognose zu vergleichen. Im groben Überblick kann man das Fazit ziehen, dass der Winter in Mitteleuropa lange brauchte um in die Gänge zu kommen, und vergleichsweise zahnlos daher kam. Vereinfacht gesagt hinkte die Witterung dem langjährigen Mittel immer um einen Monat hinterher: Der Dezember war der wärmste, der Februar der kälteste Monat. Aber auch gesamteuropäisch gesehen gibt es einige Besonderheiten festzustellen.
Das obere Kreisdiagramm mit der Verteilung der Witterung über alle drei Monate zeigt, dass sich die extremen Abweichungen vom langjährigen Mittel in Grenzen hielten, wobei die warmen Tage gegenüber den kalten im Vorteil waren. Nur gerade zwei tiefwinterliche Phasen Ende Dezember und Anfang Februar brachten insgesamt 12 Tage mit strengem Frost (im vorangegangenen Winter blieben diese gänzlich aus). 21 Tage waren deutlich zu warm, im Vorjahr waren es mit 42 genau doppelt so viele. Einen raschen Überblick über den genauen Verlauf der Witterungsphasen verschafft unser Wetterlagenkalender und erlaubt Vergleiche mit früheren Wintern. Die Verteilung der Grosswetterlagen (unteres Kreisdiagramm) weist eine breite Palette auf. Auffällig ist das vollständige Fehlen der Südwestlagen, welche im vorangegangenen Winter noch eine dominante Rolle spielten. Dies bedeutet allerdings nicht, dass kein Südwestwind wehte, nur waren diese Phasen meist im Übergang von Süd- zu Westlagen zu kurz, um als eigene Grosswetterlage klassifiziert zu werden.
Blenden wir zurück zur Ausgangslage Ende Oktober 2014. Damals veröffentlichte orniwetter.info folgende Einschätzung zum bevorstehenden Winter:
Für einen milden Winter sprechen derzeit folgende Faktoren:
– Deutlich zu hohe Wassertemperaturen in allen Meeren rund um Europa, speziell das westliche Mittelmeer weist eine positive Anomalie von teils über 3 Grad auf.
– Die sehr zuverlässige Regel von F. Baur besagt, dass auf einen feucht-warmen Oktober ein milder Januar folgt. Damit wäre bereits der Kernwinter zu mild und schwer auszugleichen.
– Mildwinter treten selten als Einzelgänger auf. Der Winter 2013/14 war der erste deutlich zu milde Winter nach einer Serie normaler bis zu kühler Winter seit 2008/09.
– Normale Eisbedeckung und etwas zu kühle Wassertemperatur der Barentssee sprechen gegen die häufige Bildung für Mitteleuropa schneebringender Tiefs über Nordosteuropa.
Für einen zu kalten Winter sprechen derzeit folgende Faktoren:
– Abnehmender Sonnenfleckenzyklus (allerdings im ersten Jahr nach dem Maximum).
– Frühe Schneedeckenausbildung in weiten Teilen Sibiriens stützen ein markantes Winterhoch und damit die Ausbreitung von Kaltluft über dem eurasischen Kontinent.
Noch unsicher sind folgende Faktoren (Auswahl):
– Fernwirkung eines möglichen El Niño, dessen Ausmass derzeit noch schwer abschätzbar ist.
– Die Verteilung der Wassertemperaturen im Nordatlantik lassen derzeit noch keine deutlichen Schlüsse über eine starke oder schwache Nordatlantische Oszillation (NAO-Index) zu.
Unser Fazit:
Vieles spricht eher für einen insgesamt zu milden Winter 2014/15, besonders für die Monate Dezember und Januar. Eine markante Ansammlung von extremer Kaltluft über Russland alleine reicht nicht aus, um einen zu kalten Winter in Mitteleuropa auszulösen. Bei starker West- bis Südwestströmung vom Atlantik her kann diese Kaltluft wie im vergangenen Winter gar nie richtig bis zu uns vordringen. Die Chancen für eine längere Kälteperiode steigen zum Ende des Winters, wo die derzeit noch unsicheren Faktoren ausschlaggebend werden könnten. Auch eine Verschiebung des Winters ins Frühjahr wie 2013 ist bei dieser Konstellation nicht auszuschliessen.
Die Analyse der Temperaturen in Europa gegenüber der Klimanorm 1981-2010 gibt Aufschluss über die Richtigkeit dieser Einschätzung und erklärt auch die Ursachen:
Auffällig ist die deutliche positive Abweichung der Mitteltemperatur des Gesamtwinters (Dez.-Feb.) von teils über 3 Grad gegenüber der Klimanorm in Nordosteuropa. Die gesamte Nordosthälfte des Kontinents verzeichnete einen deutlich zu milden Winter, nur im äussersten Westen Europas findet man einige Gebiete mit unterdurchschnittlichen Temperaturen. Dies erklärt, weshalb selbst bei Ostlagen nie markante Kaltlufteinbrüche verzeichnet wurden. Der sibirische Kaltluftkörper kam nie auch nur annähernd an Europa heran, selbst Westrussland wurde davon verschont. Die beiden Kältephasen in Mitteleuropa wurden durch Luftmassen verursacht, welche auf direktem Weg aus dem Raum Spitzbergen (Ende Dezember) und Grönland (Anfang Februar) zu uns fanden. Die Karte deckt somit auch auf, in welche Richtung die diesjährigen Kaltluftausbrüche zielten: über die Iberische Halbinsel hinweg nach Nordwestafrika. Mitteleuropa lag mit den zwei erwähnten Ausnahmen stets am Rand dieser Luftmassenbewegung. Zudem waren beide Kältephasen gemässigt und nicht vergleichbar mit Ausbrüchen von Sibirien her. Den Grund findet man in folgender Karte:
Hier ist die mittlere Abweichung der Wassertemperatur des Gesamtwinters gegenüber der Klimanorm 1981-2010 dargestellt. Die in unserer Prognose von Ende Oktober erwähnten warmen Meere rund um Europa konnten ihre positive Temperaturanomalie bis zum Ende des Winters mehr oder weniger halten. Besonders auffällig ist dies im Nordmeer, an der Ostsee und im Schwarzen Meer. Arktische Luftmassen mussten auf dem Weg nach Mitteleuropa den Weg über diese überdurchschnittlich warmen Meere nehmen und wurden dabei deutlich abgemildert, so wie dies zu erwarten war. Vielleicht erinnern Sie sich an die eine oder andere in den Medien herumgeisternde Prognose, welche in dicken Schlagzeilen einen strengen Winter prophezeite? Sie stützten sich weitgehend auf moderne Formeln wie NAO, AO, QBO, ENSO, AMO und PDO, deren Erklärung den Rahmen dieses Blogs bei weitem sprengen würde. Sie alle hatten “versagt”, da sie den gesunden Menschenverstand ausklammerten der eben besagt, dass ein über Monate hinweg aufgebautes Wärmereservoir im Wasser dieses Ausmasses nicht in wenigen Tagen oder Wochen von einem kalten Luftstrom zunichte gemacht werden kann. Da kann in Sibirien noch so viel Schnee liegen und in der Stratosphäre (in rund 30 km Höhe) noch so manche Kapriole auftreten…
Schauen wir uns noch an, wie diese Konstellation auf die Niederschläge einwirkte:
Wir stellen fest, dass weite Teile Europas einen zu nassen Winter erlebten (blaue Zonen). In Mitteleuropa gleichte der trockene Februar die zu nassen Monate Dezember und Januar weitgehend aus, auch die Alpen erhielten ungefähr durchschnittliche Schneemengen. In weiten Teilen des nördlichen Alpenvorlandes wurden mehr Schneedeckentage gezählt als im langjährigen Mittel, was die weit verbreitete Meinung widerlegt, milde Winter seien zwingend auch schneearme Winter. Dies trifft in den tiefsten Lagen meistens zu, vor allem in extrem milden Wintern wie 2013/14, wo vielerorts gar kein Schnee lag oder höchstens ein paar Stunden überlebte. Bereits ab Höhenlagen über 300 m ist auch ein milder Winter immer noch kalt genug, dass sich bei günstiger Abfolge der Wetterlagen (wie z.B. in diesem Februar: auf Nordlage mit Schneefällen folgt eine Hochdrucklage mit eisigen Nächten und/oder nebligen Tagen) eine Schneedecke lange halten kann.
Und was hielten die Vögel von diesem Winter?
Die ausbleibenden strengen Fröste insbesondere in Nord- und Osteuropa verhinderten das Zufrieren grösserer Gewässer, was viele Arten zu nur kleinräumigen Winterfluchten bewegte. In Mitteleuropa überwinterten viele Teil- und Kurzstreckenzieher, so konnten etwa den ganzen Winter über mehr Stare als in einem durchschnittlichen Winter beobachtet werden. Im westlichen Schweizer Mittelland versuchten sogar Felsenschwalben eine Überwinterung, ab Ende Januar wurde es ihnen dann aber doch zu kalt bzw. ging ihnen die Nahrungsgrundlage aus. Die Gewässer am Alpenrand verzeichneten gute Bestände an Wintergästen, da auch hier niemals die Gefahr bestand, dass selbst flachere Uferpartien zufrieren könnten. Gleich mehrere riesige Bergfinkenschwärme konnten sich den ganzen Winter über an unserer Buchenmast die Bäuche vollschlagen, die Schneedecke wuchs nie zu sehr an, um die Vögel bei der Nahrungssuche ernsthaft zu behindern. Erwartungsgemäss bei einem Mildwinter in Nord- und Osteuropa blieben bei uns die arktischen Winterflüchter wie etwa Seidenschwanz und Polarbirkenzeisig weitgehend aus bzw. erschienen nur vereinzelt im südlichen Mitteleuropa. Auch nordische Gänse fühlten sich im nördlichen Mitteleuropa wohl und wurden nicht zu weiteren Flügen nach Süden gezwungen. Bereits ab Mitte Februar wurden wieder grössere Bewegungen in Richtung Nordosten verzeichnet, so etwa bei Kranichen und Gänsen, und auch der Kiebitz konnte Ende Februar sein Brutrevier bereits in Beschlag nehmen.
Interessierte finden detaillierte Wetteranalysen zu den einzelnen Monaten im Blog unserer Partnerseite fotometeo.ch