Auch wenn die Temperaturen derzeit noch auf hochsommerlichem Niveau verharren: In den letzten Tagen wurde unmissverständlich der Umbau von der sommerlichen Westwindzirkulation auf die herbstliche meridionale Zirkulation in Angriff genommen. Die Zeit blockierender Hochs beginnt und damit die alles entscheidende Frage, wo genau sie sich installieren werden. Regime Block kann nämlich viel bedeuten: Ob das Hoch über Nord-, Ost- oder Mitteleuropa liegt, ist für unser Wetter entscheidend. Aber auch das Azorenhoch macht Anstalten, sich nach Norden zu verschieben. Das öffnet die Tür weit für Austrogungen über West- und Mitteleuropa mit den damit verbundenen Unsicherheiten. Nicht umsonst gilt der September als einer der am schwierigsten zu prognostizierenden Monate.
Verstärkt wird die Unsicherheit durch die alljährliche Tropensturm-Saison, von US-Hurricane-Center als rekordverdächtig aktiv prognostiziert, wovon aber bisher mit Ausnahme eines extrem frühen starken Sturms nicht viel zu sehen war. Auch mit der langjährigen Erfahrung ist es nicht weit her, wenn die Situation noch nie dagewesener warmer Meere rund um Europa völlig neue Möglichkeiten eröffnet, von denen wir bisher höchstens in unseren Alpträumen heimgesucht wurden. Blockadehochs vertschüssen sich neuerdings sehr gerne in den muckelig warmen Hohen Norden (Spitzbergen mit einer August-Mitteltemperatur von 11.0 (!) Grad, was einer Abweichung von +5 Grad zur aktuellen Klimanorm entspricht und noch mal 2.5 Grad wärmer als 2023, der bereits frei über dem bisherigen Rekord schwebte), womit sie den Einfluss auf Mitteleuropa rasch verlieren. Das rekordwarme Mittelmeer dampft vor sich hin und wartet nur darauf, dass Höhentiefs die Suppe richtig zum Kochen bringen – kurzum: Insbesondere für den Alpenraum ist die Ausgangslage eine alles andere als erfreuliche.
Die Mehrheit der Modellläufe zeigt denn auch eine für die Jahreszeit typische meridionale Zirkulationsform, etwa zu zwei Dritteln mit kräftigem Hoch im Nordosten (Regime Block), zu einem Drittel mit einer High-over-Low-Lage (Regime NAO-), sprich einem Hochdruckband über den gesamten Norden hinweg. Andere Lösungen werden gar nicht präsentiert, folglich habe ich mich für den aktuellsten Lauf entschieden, der die Mehrheit vertritt, aber auch Elemente des schwächeren Clusters beinhaltet: Eine extrem starke positive Abweichung des Geopotenzials über Nordosteuropa mit Zentrum über dem Weissen Meer und einem Ausläufer Richtung Europäisches Nordmeer und einem sekundären Ableger über der Labradorsee – zwischen den beiden Hochdruckanomalien soll eine schwache Brücke über Grönland und Island hinweg bestehen bleiben. West-, Mittel- und Südeuropa liegen mehrheitlich in einer negativen Druckanomalie, wobei deren Zentrum zwischen Irland und Spanien zu liegen kommen soll. Die daraus resultierenden Grosswetterlagen sind vielfältig, wobei der Westsektor weitgehend ausgeschlossen wird. Es dominieren (meist zyklonale) Ost- bis Südlagen und auch für ein Tief Mitteleuropa liegen die Chancen nicht schlecht.
Unter dem Hochdruckblock über Nordwestrussland werden die höchsten positiven Temperaturabweichungen von fünf bis sechs Grad zur Normperiode 1991-2020 gerechnet, immer noch +3 Grad dürften es in weiten Teilen Nord- und Osteuropas werden. Negative Abweichungen werden über dem östlichen Mittelmeer (fraglich bei den hohen Wassertemperaturen) und über Westeuropa gerechnet, minus drei Grad zum aktuellen Klima dürften aber auch hier (deutlich) übertrieben sein. Der Verlauf der neutralen Zone genau durch Deutschland ist wahrscheinlich zu weit östlich gerechnet, es sei denn eine extrem kühle zweite Monatshälfte gleicht die nach den aktuellen Mittelfristmodellen zu erwartende deutlich zu warme erste Hälfte aus – aus meiner Sicht eher unwahrscheinlich, denn woher soll denn die Kaltluft kommen? Realistischer dürfte eine Abweichung zwischen +1 und +2 Grad sein mit einem deutlichen Ost-West-Gefälle.
Woran es aber bei dieser Ausgangslage kaum etwas zu zweifeln geben dürfte, ist ein deutlich zu nasser September in der Kampfzone zwischen kühlerem Westen und sehr warmem Osten. Insbesondere von den Pyrenäen bis zu den Alpen dürften enorme Regenmengen fallen – die regionale Verteilung wiederum ist dann jeweils von der Anströmungsrichtung und eingelagerten konvektiven Zellen abhängig. Das Potenzial für regionale verheerende Unwetter ist jedenfalls gegeben. Auffällig sind auch die modellierten hohen Niederschlagsmengen in der Türkei und in Teilen Nordwestafrikas, was auf das aussergewöhnlich weite Vordringen tropischer Luftmassen nach Norden zurückzuführen ist, wie wir bereits seit einigen Monaten beobachten konnten. Wer hingegen gerne trockenes Spätsommerwetter geniessen möchte, ist an der norwegischen Küste am besten bedient. Die trockenen Flecken, welche das Modell im Mittelmeer zeigt, sind zu sehr mit Unsicherheiten behaftet.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Die Pegel der Alpenrandseen sind inzwischen dank trockenem August ungefähr auf Normalniveau und sinken vorerst weiter, was Schlickflächen für rastende Zugvögel zum Vorschein bringt. Die weitere Entwicklung ist allerdings unsicher: Mit den zu erwartenden hohen Niederschlagsmengen im Monatsverlauf könnte so mancher See wieder überdurchschnittliches Niveau erreichen. Die überwiegend zyklonale Beeinflussung wird so manchen Zugstautag hervorbringen – für wetterfeste Vogelfreunde reich gedeckter Tisch also. Für die Beobachtung von Zugvögeln auf Alpenpässen braucht man hingegen etwas mehr Glück, da auf wenige gute Tage beschränkt.
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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