Der Absturz vom Hochsommer direkt in den Herbst zum Ende des August war brutal und wahrscheinlich wegweisend für den September. Nicht in dem Sinne, dass es jetzt nass-kühl bleibt, sondern dass wir uns auf ein ständiges Auf und Ab einstellen sollten. Der September kann viele Gesichter zeigen: Beständige Spätsommerhochs (der Grosswettertyp Hoch Mitteleuropa hat im September sein statistisch höchstes Vorkommen im Jahresverlauf) oder frühzeitige Wintereinbrüche im Bergland sind ebenso wahrscheinlich wie Föhnlagen im Alpenraum mit ergiebigen Niederschlägen auf der Alpensüdseite. Derzeit scheint es so, als wolle der September 2020 all diese Register ziehen.
Unter dem Aspekt, dass die Prognosegüte der Langfristmodelle für die Herbstmonate im langjährigen Schnitt eher etwas durchzogen ausfällt, erstaunt doch die relative Einigkeit in diesem Jahr für den September. Einzelne Läufe fallen zwar aus dem Rahmen, aber etwas mehr als die Hälfte setzt auf ein Blockadehoch über Osteuropa bei gleichzeitig etwas nach Nordwesten verschobenem Azorenhoch. Dazwischen hält sich hartnäckig eine Tiefdruckanomalie mit Zentrum über Schottland und Austrogungstendenzen in Richtung Iberische Halbinsel und westliches Mittelmeer. Diese Konstellation zeigt bereits sehr tiefherbstliche Züge bei allerdings noch spätsommerlichem Sonnenstand und maximalen Wassertemperaturen der uns umgebenden Meere – eine explosive Mischung mit potenzial für Unwetter in vielen Regionen Europas. Eine erste Kostprobe haben wir soeben in den letzten Augusttagen geliefert bekommen.
Der zu erwartende Grosswetterlagenmix ist komplex und wird wohl eine sehr abwechslungsreiche Angelegenheit mit vielen sehr warmen und auf der Alpensüdseite extrem nassen Südwest- bis Südlagen (haupsächlich Trog Westeuropa oder Tief Britische Inseln), die beim Durchschwenken in Trog Mitteleuropa münden (nass-kühle Tage mit Schneefallgrenze in den Alpen teils unter 2000 m). Nach dem Abtropfen von Tiefs ins Mittelmeer kann sich für einige Tage eine Hochdruckbrücke über Mitteleuropa bilden oder – falls sich das Tief im Süden rascher auflöst – eine warme und sonnige antizyklonale Westlage, bevor der Prozess mit der nächsten Austrogung über Westeuropa von Neuem losgeht. Kaum Chancen haben bei dieser Konstellation Ostlagen – falls doch, dann allenfalls kurz Südost.
Wenig erstaunlich bei permanentem Hochdruck über Osteuropa wird sich dort eine markante Wärmeanomalie ausbilden mit einem Hotspot rund ums Schwarze Meer mit wahrscheinlich einer Abweichung von mehr als fünf Grad zur Klimanorm. Diese Wärme erstreckt sich mit sinkendem Gradienten bis ins östliche Mitteleuropa. Mitteleuropa selbst dürfte im Schnitt im langjährigen Mittel oder leicht darüber landen, wobei sich wie bereits erwähnt dieses Mittel aus sehr warmen wie auch sehr kühlen Phasen bilden wird. In den Föhnregionen der Alpennordseite und inneralpin könnten Föhnlagen das Mittel nach oben treiben, bei hochreichender Feuchtezufuhr aus Süden ist dies aber keineswegs garantiert, wie die letzten Augusttage gezeigt haben. Etwas unterdurchschnittlich temperiert verläuft der Monat wahrscheinlich von Island über die Britischen Inseln und Westfrankreich bis Portugal.
In Sachen Niederschlag zeigt sich entsprechend des zu erwartenden Wetterlagen-Mixes eine komplexe Verteilung. Wahrscheinlich ist aufgrund der häufigen Tiefdrucklagen eine zu nasse Zone rund um Nord- und Ostsee zu erwarten, ebenso in den West- und Südalpen und in den Pyrenäen aufgrund häufiger Staulagen. Eher trocken wird es wohl im östlichen Alpenvorland, deutlich zu trocken in weiten Teilen Osteuropas. Kein zuverlässiges Signal in die eine oder andere Richtung ist in weiten Teilen Mitteleuropas vorhanden, hier sind also eher Niederschlagsmengen im Bereich des langjährigen Mittels oder vor allem in den Mittelgebirgen leicht darüber zu erwarten mit lokalen Unterschieden abhängig von zufälligen Schauer- und Gewittertreffern.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Aufgrund der häufigen Südlagen ist die Zugsituation für die Vögel eher ungünstig. Da nicht gerne im Gegenwind geflogen wird, wird es wahrscheinlich auf wenige, aber intensive Spitzenzugtage bzw. -nächte hinauslaufen, wenn sich mal eine ruhigere Hochdruckphase einstellt. Auf der anderen Seite sind Zugstaus mit vielen rastenden Vögeln während der Tiefdruckphasen insbesondere auf der Alpennordseite vorprogrammiert. Dabei werden für die Nahrungssuche gerne die durch intensive Niederschläge gebildeten Tümpel im Wies- und Ackerland sowie in den Fluträumen nach dem Rückgang Hochwasser führender Flüsse genutzt.
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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