Die völlig aus den Fugen geratene globale Klimasituation, insbesondere die absurd warmen Meere rund um Europa, speziell in der Subtropenzone, hat bereits im September ihre deutlichen Spuren in Mitteleuropa hinterlassen. Es wäre naiv zu glauben, dass sich dies in Kürze wieder einrenkt, und so muss man weiterhin auf Kapriolen gefasst sein, die wir uns noch vor wenigen Jahren kaum vorstellen konnten. Die Wettermodelle sind da etwas träger im Lernprozess, bilden aber immerhin die grossräumige Konstellation recht plausibel ab. Im Detail müssen die Meteorologen korrigierend eingreifen, aber auch da kann man aufgrund mangelnder Erfahrung mit den vorherrschenden Verhältnissen keine Wunder erwarten.
Das Hauptaugenmerk liegt jetzt auf der Aktivität des tropischen und subtropischen Atlantik, wo mit einiger Verzögerung die vom amerikanischen Hurrcane Center prognostizierte aktive Saison ins Rollen geraten ist:
Doch nicht nur der tropische, auch der subtropische Atlantik produziert derzeit Stürme am laufenden Band oder lässt ehemalige Hurricanes wie aktuell den Isaac lange leben, wobei deren Reste tropischer Luftmassen auf recht südlicher Zugbahn irgendwann Mitteleuropa erreichen:
Da kommt also noch einiges auf uns zu und auch auf die Gefahr hin, mich seit Jahren um diese Zeit zu wiederholen: Je mehr (ex-)Tropenstürme auf dem Atlantik unterwegs sind, umso unsicherer wird die Prognose nicht nur in der Lang- sondern auch in der Mittel- und Kurzfrist. Wobei es derzeit fast einfacher ist, eine Gesamtcharakterisierung eines Monats treffsicher abzuliefern, als eine Prognose auf drei bis fünf Tage hin – doch das ist wieder ein anderes Thema ;-) . Tropenstürme können, wenn sie sich mal über dem Nordatlantik wohlfühlen, mit ihrem Warmluftstrom auf der Vorderseite eine Hochdrucklage in Europa produzieren. Dies gelingt jedoch nur, wenn der Jetstream weit nördlich verläuft. Aktuell mit dem weit im Süden verlaufenden Jetstream ist es aber eher so, dass die Tiefs mit ihrer feuchten Ladung wie die Tankwagen eines entgleisten Güterzugs in die Alpen reinkrachen. Als Dessert gibt’s dann bisweilen auch noch die auf ihrer Rückseite angezapfte Polarluft zu geniessen, gleich in der zweiten Hälfte der ersten Oktoberwoche (blaue Luftmasse über dem Baltikum in der Karte oben) lehrbuchhaft vorgeführt. Trotz dieser komplexen Ausgangslage sind die Langfristmodelle – zumindest was die grobe Zirkulationsform angeht – für den Oktober recht einheitlich unterwegs und die Läufe unterscheiden sich nur in Details, daher ist es sinnvoll, die Monatsprognose auf den aktuellsten Lauf zu stützen. Wie immer im Winterhalbjahr sind in der Tempraturkarte unten wieder die bodennahen Werte dargestellt, um allfällige Inversionen abzubilden.
Sowohl das amerikanische wie auch das europäische Langfristmodell rechnen mit einer deutlich negativen nordatlantischen Ozillation (NAO-) mit recht konstanter positiver Luftdruckabweichung im Hohen Norden, wobei das Maximum von Südostgrönland bis ins europäische Nordmeer reicht. Dem gegenüber steht eine negative Druckanomalie, die sich zonal ausgerichtet über den gesamten Nordatlantik und Mitteleuropa erstreckt mit der höchsten Abweichung zwischen Irland und den Azoren. Über dem Mittelmeer und den Maghreb-Staaten wird die Luftdruckabweichung neutral gerechnet. Wir haben es also mit einer ausgeprägten High-over-Low-Lage zu tun, bei der Ostlagen dominieren, aber auch südliche Westlagen und Tief Mitteleuropa mit am Tisch sitzen. Die hohe Luftdruckabweichung über dem Nordmeer bei etwas geringerer über Skandinavien lässt darauf schliessen, dass zwischenzeitlich auch Nordlagen mitmischen werden. Die für diese Jahreszeit so typischen Südlagen und auch “normale” Westlagen stehen jedoch auf verlorenem Posten.
Wechselweise Hochdruck mit klaren Nächten und Tiefdruck mit ersten Schneefällen lassen die Landmasse Nordeuropas wie in den letzten Jahren sehr früh auskühlen, hier wird denn auch die (recht plausibel) stärkste negative Temperaturabweichung gerechnet. Ein Kaltluftreservoir wird also schon mal aufgebaut, spannend ist dann immer die Frage, wie häufig es angezapft wird. Die neutralen bis leicht negativen Anomalien über Westeuropa lassen darauf schliessen, dass dies zumindest zeitweise der Fall sein wird (schon recht gesichert anhand der Kurz- und Mittelfristmodelle vom 3. bis 5. Oktober mit einer etwas vermurksten zyklonalen Nordostlage NEZ). Man darf sich aber auch in diesem Monat die Frage stellen, ob die negative Abweichung aufgrund der immer wieder aus Südwesten heranrauschenden (sub-)tropischen Luftmassen nicht doch wieder übertrieben gerechnet wird. Ich tendiere eher zu einem Mitteleuropa mit einem durchschnittlich temperierten Oktober – ob einige Zehntel über oder unter dem Nuller, sei mal dahingestellt. Auffällig ist nach wie vor die persistent gerechnete Wärmeanomalie von Südosteuropa bis zur kasachischen Steppe.
Die eingangs beschriebene starke Tropensturmaktivität zeigt sich in der Niederschlagskarte mit dem atmosphärischen Fluss, der von den Azoren nach West- und Mitteleuropa gerichtet ist und seinen Ursprung im tropischen Westafrika hat. Irgendwo rund um Pyrenäen, Alpen und dem Balkan wird also wieder mehr als die doppelte Menge an Niederschlag eines normalen Oktobers runterkommen, wobei diese Karten regionale Spitzen, insbesondere von Staueffekten während eines mehrtägigen Ereignisses, nicht auflösen können. Mit einem Katastrophenereignis irgendwo in den erwähnten Gebieten ist also zu rechnen – es würde bei dieser Ausgangslage eher erstaunen, wenn sie ausbleibt. Wen genau es treffen wird, lässt sich ebenso wie im September natürlich noch nicht regional eingrenzen.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Es ist zu hoffen, dass sich das Drama mit den verhungernden Schwalben im Dauerregen Mitte September am östlichen Alpenrand nicht auch noch woanders wiederholt – doch auch andere Insekten fressende Vögel sind im Oktober noch unterwegs in den Süden und werden an der vorherrschenden Wetterlage keine Freude haben. Wasservögel kümmert das eher wenig, im Gegenteil: Mit den verbleibenden Überschwemmungsflächen in Ost-Mitteleuropa bieten sich unzählige Rastgebiete an. Es würde nicht erstaunen, wenn sich das auch weiter weiter westlich noch einstellt, sind doch bereits jetzt wieder viele Ackerflächen und Wiesen vernässt. Im Gegenzug werden wahrscheinlich die Pegel der Alpenrandseen wieder ansteigen und Schlickflächen unzugänglich machen.
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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