Inzwischen stellt sich ja nur noch die Frage, welches Extrem uns der nächste Monat beschert. So viel sei schon mal verraten: Kälte wird’s nicht sein. Ansonsten tischen uns die Langfristmodelle so ziemlich jedes Szenario auf, das wir vor ein paar Jahren noch als Spinnerei bezeichnet hätten – doch mittlerweile scheint nichts mehr unmöglich, was uns der völlig pulverisierte Septemberrekord bei der Monatsmitteltemperatur gerade wieder vor Augen geführt hat.
Rekorde vorherzusagen, war nie erstrebenswert in der Langfristprognose, denn die Trefferquote dafür war (bisher) sehr niedrig, weil Rekorde eben etwas Seltenes sind – bzw. waren. Nun leben wir offenbar in einer Zeit, wo sich Rekord an Rekord reiht, und man muss sich bei jeder Monatsprognose hinterfragen, ob die Zurückhaltung in Sachen Extremprognosen noch zeitgemäss ist. Dies insbesondere dann, wenn die Langfristmodelle plötzlich anfangen, Szenarien zu rechnen, die bisher völlig undenkbar waren, wie z.B. einen Oktober mit einer Abweichung im Alpenraum von teils über 6 Grad zur Vergleichsperiode 1991-2020, was auch im neuen Klima einem warmen September entspricht. Zur Erinnerung: 2022 lag der Rekord-Oktober noch knapp unter 4 Grad Abweichung zum langjährigen Mittel.
Der Mut für die Wahl dieses Extremszenarios fehlt mir auch diesmal, und so musste ein Lauf herhalten, der zumindest zwischendurch auch mal einen halbherzigen Kaltluftvorstoss nach Mitteleuropa im Programm hat. Gerechnet wird eine positive Druckanomalie, die sich von Grönland bis in den Mittelmeerraum erstreckt, wobei die stärkste Abweichung über Nordwesteuropa zu liegen kommen soll. Diese langgestreckte Zone deutet auf die Verlagerung eines blockierenden Hochs im Monatsverlauf hin. Liegt es im ersten Monatsdrittel (recht gesichert durch die Mittelfristmodelle) noch über dem Mittelmeer und dem südlichen Mitteleuropa, soll es sich in der Folge vermehrt über den Britischen Inseln etablieren, seinen Einfluss auf Mitteleuropa aber höchstens zwischenzeitlich einbüssen. Will heissen: Der Monat beginnt mit einer antizyklonalen Westlage, tendiert in der Folge zu einer Südwestlage oder einem Trog Westeuropa, der (nach aktuellem Stand) um den 10./11. herum nach Osten durchschwenken soll, worauf ein neues Hoch über dem Ostatlantik die Regie übernimmt (Grosswettertyp Nordwest bis Nord, gegen Ende des Monats möglicherweise sogar Ost). Die genaue Lage dieses Hochs wird entscheidend sein, wie nahe uns die über Osteuropa nach Südosten ausbrechende Kaltluft auf die Pelle rückt.
Bei dieser Konstellation erstaunt es nicht, dass ein deutliches West-Ost-Gefälle bei der Monatsmitteltemperatur über Europa auftreten soll. Im Westen sind Abweichungen von +3 Grad zur Vergleichsperiode 1991-2020 wahrscheinlich, im östlichen Mitteleuropa wird wohl nach einer warmen ersten Monatshälfte bis zum Schluss nur ein knappes Plus übrig bleiben, Südosteuropa wird sogar zu kühl gerechnet. Doch wie eingangs geschildert: Die Varianz der Modellläufe ist gross und eine persistentere Hochdrucklage über Mitteleuropa kann rasch in einen weiteren deutlich zu warmen Monat münden, besonders in erhöhten Lagen.
Noch mehr Kopfzerbrechen bereitet die Streuung der Modelle, was die Niederschlagsverteilung betrifft (kein Wunder, wenn das Hoch mal westlicher, mal östlicher gerechnet wird). Der ausgewählte Lauf lässt nur abgeschwächte Fronten über Mitteleuropa ziehen. In den Mittelfristmodellen, welche die erste Monatshälfte abdecken, ist derzeit nur eine einzige zu sehen, die nennenswerten Niederschlag bringt, nämlich in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober, der Tiefdruckeinfluss ab dem 10. Oktober ist mit grossen Unsicherheiten behaftet. Niederschlagsmengen über dem langjährigen Schnitt wären somit nur rund um die Ostsee zu erwarten und punktuell (fast unprognostizierbar, weil konvektiv) im östlichen Mittelmeerraum.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Nach dem trockenen September sind die Hochwasser-Rückstände von Ende August längst wieder verschwunden, entsprechend bieten sich nur wenige geeignete Rastplätze für Wasservögel abseits der Seen. Überhaupt verläuft der Vogelzug aufgrund der häufigen Hochdrucklagen und somit windschwachen Verhältnisse in der Höhe weiterhin unauffällig, d.h. er verteilt sich über viele Tage und findet oft in grosser Höhe statt, was die Beobachtung erschwert. Kurzstrecken- und Teilzieher werden wohl noch lange keinen Anlass sehen, sich auf den Weg zu machen, zumindest nicht bei den weiterhin spätsommerlichen Verhältnissen in der ersten Oktoberhälfte.
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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