Der zu Ende gehende September hat es uns wieder mal gezeigt: Wenn die Hurrikan-Saison auf dem Atlantik sehr aktiv ist, ist die Erstellung von mittel- bis längerfristigen Prognosen für Europa im Herbst eine reine Lotterie. Oft beginnen die Unsicherheiten bereits im Bereich von fünf Tagen – und dabei sprechen wir nicht von ein paar Details wie Regen zwölf Stunden früher oder später, sondern von grossräumigen Wetterlagen. So sieht es auch jetzt wieder aus: Der Monat beginnt tiefdruckbestimmt mit starkem atlantischem Einfluss (West zyklonal), doch bereits ab dem 6. Oktober tischen uns die Modelle völlig verschiedene Entwicklungen auf. Dies hat auch Auswirkungen auf das Langfristmodell: Es ist kein eindeutiger Trend in eine bestimmte Richtung zu erkennen. Die folgende Prognose ist also wie bereits im September mit einer gehörigen Portion Skepsis zur Kenntnis zu nehmen.

Fichtenkreuzschnabel im letzten Sonnenlicht (Berner Voralpen, Oktober 2011)
Um die Auswahl des uns am plausibelsten erscheinenden Modelllaufes nicht zu einer Lotterie verkommen zu lassen, haben wir uns am Ensemble-Mittel der letzten zehn Tage orientiert, wo zumindest ansatzweise ein paar Schwerpunkte in den grossräumigen Druckverteilungen zu erkennen sind. Da wäre einerseits eine markante positive Druckanomalie im hohen Norden und eine etwas weniger stark ausgeprägte über Südwesteuropa. Die Zonen tieferen Luftdrucks sind schwerpunktmässig über dem zentralen Nordatlantik und über Osteuropa auszumachen, wobei zwischen den beiden Zentren eine Tiefdruckrinne über die Nordsee hinweg zu erkennen ist. Die Grosswetterlagenverteilung lässt einen grösseren Anteil Westlagen und die typischen Begleiter der gemischen Zirkulation (Nordwest, Südwest, Hoch und Tief Mitteleuropa) erwarten. Süd- und Ostlagen können bei dieser Konstellation – wenn überhaupt – zur kurzzeitig in Erscheinung treten. Von den meridionalen Lagen sind am ehesten noch Nordlagen möglich, sofern der Tiefdruckeinfluss in Osteuropa bis nach Mitteleuropa zu spüren ist.
Die Temperaturverteilung zeigt ein klares West-Ost-Gefälle in Europa. Ein überdurchschnittlich warmer Monat ist auf der Iberischen Halbinsel zu erwarten, schon weniger ausgeprägt ist die positive Abweichung in Richtung Frankreich und Britische Inseln. Hingegen zeigt der Hohe Norden bereits wieder deutliche Anzeichen für klar zu hohe Temperaturen. Der Kältepol wird für die Schwarzmeerregion berechnet, Mitteleuropa befindet sich dazwischen im ungefähren Normalbereich mit leichter Tendenz auf die kühle Seite. Hier wird es stark davon abhängen, ob sich nach der (nach jetzigem Stand) tiefdruckbestimmten ersten Monatshälfte noch eine stabilere Phase einstellen kann, wobei man in der zweiten Oktoberhälfte bei Hochdruckwetter bereits mit hartnäckigen Inversionen rechnen muss (kühle Niederungen unter Nebel und Hochnebel, sonnig und warm in erhöhten Lagen). Die gezeigte Karte hat somit für die lokalen Verhältnisse nur bedingte Aussagekraft.
Etwas klarer scheint der Trend beim Niederschlag zu sein, hier rechnen wir im nördlichen Mitteleuropa mit einem deutlich zu nassen Oktober, ebenso in weiten Teilen Osteuropas. Nach Südwesten hin sowie in Nordeuropa ist es unter stärkerem Hochdruckeinfluss deutlich trockener. Im Alpenraum wird bereits der Einfluss des Ex-Hurrikans “Maria” in der ersten Oktoberwoche darüber bestimmen, ob der Monat zu nass ausfällt. Die genaue Zugbahn sowie die damit vebundenen Niederschlagsmengen sind – wie bei ehemaligen tropischen Systemen üblich – eine fast unknackbare Nuss für die Wettermodelle. Immerhin muss man diesbezüglich nicht mit erneuten Schneefällen bis in tiefe Lagen rechnen, im Gegenteil: Die mitgeführten tropischen Luftmassen sorgen für kräftige Regenfälle mit einer Schneefallgrenze um 3000 Meter, was schon eher die Aufmerksamkeit in Bezug auf mögliches Hochwasser steigen lässt, sollte sich das Tief nicht rasch genug weiterbewegen. Jedenfalls sorgt Ex-Maria dafür, dass der weitere Witterungsverlauf erst nach ihrer Passage am 3./4. Oktober klarer werden dürfte.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Zumindest lässt ein deutlicher Trend für einen warmen Oktober im Hohen Norden grössere, verfrühte Winterfluchten ausschliessen. Die bereits im September gemeldeten hohen Beobachtungszahlen von Kreuzschnäbeln im nördlichen Mitteleuropa sind nicht auf das aktuelle Wetter zurückzuführen, sondern dürften vielmehr mit dem garstigen Frühling und Frühsommer in Zusammenhang stehen. Die bis weit in den Mai und sogar Juni reichenden Fröste und Schneefälle in Nordskandinavien und Nordwestrussland werden mit hoher Wahrscheinlichkeit ein mageres Jahr bei Beeren und Samen verursacht haben. Der daraus folgende Nahrungsmangel wird somit in den nächsten Monaten wohl viele nordische Arten nach Mitteleuropa treiben. Uns steht jedenfalls ein spannender ornithologischer Winter bevor. Inwieweit sich dies bereits im Oktober auswirkt, ist noch offen.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe gegenüber der Klimanorm 1981-2010

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010 (rot = nasser, blau = trockener als normal)
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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