Traue keinem Herbstmonat, bevor er zu Ende ist… Der Oktober hat uns mal wieder gezeigt, wie es zu dieser Jahreszeit bevorzugt läuft: Eine Hälfte extrem sonnig, trocken und warm, die andere Hälfte trüb und nass. Eingefahrene, blockierte Wetterlagen sind dafür verantwortlich, und es deutet wenig darauf hin, dass dies im November ändern soll. Der Charakter der ersten Hälfte scheint recht gesichert zu sein – für die zweite Hälfte müssen wir uns wahrscheinlich einmal mehr überraschen lassen.

Der Vorteil des Herbstes: Dank Laubfall können heimliche Waldbewohner wie dieser Schwarzspecht wieder einfacher beobachtet werden (Berner Mittelland, 02.11.2022)
Extrem sprunghaft erweist sich das amerikanische Langfristmodell CFS auch diesmal, und ebenso hat das europäische Modell zuletzt nicht gerade mit Konstanz geglänzt. So bleibt einem nix anderes übrig als die neuesten Trends zu verfolgen und sämtliche Modellläufe auszusieben, bei denen bereits anhand der Mittelfristkarten klar ist, dass sie unmöglich stimmen können. So bleiben schlussendlich nur wenige Läufe übrig, die ein ähnliches Szenario rechnen und da ist man gut beraten, den aktuellsten zu berücksichtigen.
Aufgrund der Mittelfristkarten, die im ersten Monatsdrittel eine blockierte Situation mit einem Osteuropa- bzw. Russlandhoch rechnen, das von der warmen Vorderseite sich permanent regenierenden Tiefdrucks über Westeuropa und dem Nordatlantik gefüttert wird, ist schon mal ein stabiles Fundament gelegt. Zudem zeigt EZ extended neuerdings für die zweite Monatshälfte einen Trend zu positiver nordatlantischer Oszillation (NAO+). Folglich kann nur eine deutliche Tiefdruckanomalie über dem östlichen Nordatlantik und West- bis Mitteleuropa resultieren, wobei das Zentrum über den Monat gemittelt über den Britischen Inseln liegen soll. Gegenspieler sind Hochdruckanomalien über Grönland, westlich der Azoren sowie (nur noch schwach) über Westrussland. Mehr als Süd-, Südwest- und Westlagen sind bei dieser Konstellation nicht zu erwarten oder können höchstens kurzfristig eine Rolle spielen, doch wie bereits erwähnt sind Überraschungen in der zweiten Monatshälfte immer möglich.
Daraus folgt bei häufig südlicher Anströmung eine extreme positive Temperaturanomalie über dem gesamten Osten des Kontinents – es würde nicht erstaunen, wenn wie so oft in den letzten Jahren die gerechnete Abweichung von +3 bis 5 Grad zum Mittel 1991-2020 noch zu tief gegriffen ist. Nach Westen zeigt sich ein deutliches Gefälle, durchschnittliche Werte erscheinen erst über dem Atlantik, leicht unterdurchschnittliche aufgrund permanenter Zufuhr atlantischer Luftmassen im Süden der Iberischen Halbinsel.
Die Verteilung der Niederschläge ist ganz einfach: Alles, was west- bis südexponiert ist, wird überdurchschnittlich bis extrem bewässert, insbesondere Portugal und Galizien, Westfrankreich, aber auch die Westalpen und der Alpensüdhang. Aufgrund der gemittelten Lage der Tiefs herrschen über Nordeuropa meist östliche Anströmungen, die norwegische Küste befindet sich also häufig im Lee und bleibt daher meist trocken, derselbe Effekt ist auf Island zu sehen. Andersrum befinden sich die trockenen Gebiete im Süden Europas jeweils an den Ostseiten der Gebirge. Eine gewisse Unsicherheit weist die Alpennordseite auf: Die gezeigte Karte scheint einen Überhang an Süd- und Südwestlagen und somit Föhneffekten zu beeinhalten – sollten die Westlagen aber nur geringfügig häufiger sein, wird sich das rausmitteln.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Wer auf Winterflüchtlinge aus dem Norden hofft, braucht auch in diesem Jahr Geduld. Zwar hat es wie in den letzten Jahren in Nordskandinavien früh eingewintert, im November stehen die Zeichen aber deutlich auf mild. Wie die Erfahrung zeigt, stoppt die Migration nordischer Arten meist in Südskandinavien oder an der Ostseeküste und verharrt dann dort, wenn nicht ein nachhaltiger Kälteeinbruch zum Weiterziehen zwingt. Nach aktuellem Stand ist vorerst nicht damit zu rechnen. Schon eher weichen Hochgebirgsvögel in die Täler aus, denn die überdurchschnittlichen Niederschläge in den Alpen dürften früh für eine bleibende Schneedecke zumindest oberhalb von etwa 1500-2000 m sorgen.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur 2 Meter über Boden gegenüber der Klimanorm 1991-2020

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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Spendenbarometer letzte 12 Monate (orniwetter + fotometeo zusammen, Erklärungen dazu hier):
Edith am 4. November 2023 um 14:02 Uhr
Also wenn ich die Karten richtig interpretiere, besteht die Chance, dass ich, zumindest im Engadin, bald Langlaufen kann? Schnee hat es ja schon, er sollte nur nicht wieder wegschmelzen.
Fabienne Muriset am 4. November 2023 um 22:35 Uhr
Das wird knapp. Die Gefahr, dass es immer wieder mal bis auf 2000 Meter oder sogar etwas höher regnet, ist real. Also die Schneedecke könnte zwar halten, wird aber eben zwischendurch auch matschig.