Dass die Frühlingsmonate die herausforderndsten für die Langfristprognose sind, hat der April soeben wieder mal bewiesen – man darf also davon ausgehen, dass uns auch der Mai das Leben schwer machen wird. Einigermassen zuverlässig sind die Monatsprognosen im Frühling eigentlich nur dann, wenn die Modelle eine anhaltende Blockadesituation simulieren, wie das im letzten Jahr der Fall war, oder 2018. Solche Konstellationen sind aber eher selten, vielmehr überrascht der chaotische Ausgleich polarer und warmer Luftmassen durch unsere Klimazone hinweg immer wieder mit unvorhergesehenen Verlagerungen und herumirrenden Kaltlufttropfen – meridionale Zirkulationsform nennt sich das und ist zu keiner Zeit so ausgeprägt wie von Mitte März bis etwa Mitte Juni.

So lange sich Regentage mit sonnigen Tagen abwechseln, sind Insektenjäger glücklich (Gartenrotschwanz am Hohentwiel, 08.05.2018)
Zunächst ein Hinweis in eigener Sache: Die Monatsprognose wird ab sofort immer erst am Morgen des 1. des Monats erstellt und nicht mehr wie bis anhin meist am Vorabend. Das hat den Vorteil, dass auch die beiden letzten Läufe des Langfristmodells CFS noch mit berücksichtigt werden können, die erst gegen Mitternacht und frühmorgens erscheinen. Zudem ist vor allem in den Sommermonaten die Arbeitsbelastung mit Gewittern in den Abendstunden am grössten, was mitunter zur Folge hatte, dass der Monatsprognose nicht die volle Aufmerksamkeit geschenkt werden konnte oder eben doch erst am nächsten Morgen geschrieben werden musste – nun möchte ich zugunsten der treuen Leserschaft zu einer regelmässigeren Erscheinungszeit beitragen. In der Regel sollte die Monatsprognose also bis Mittag des 1. aufgeschaltet sein.
Um bei der Einleitung anzuknüpfen: Die Langfristmodelle sind für den Mai zum Teil sehr widersprüchlich und auch innerhalb der Modelle die Läufe extrem sprunghaft, um nicht zu sagen: Sie divergieren in Gegensätze, die einem die Wahl eines Szenarios ungemein erschweren. In solchen Fällen hilft oft nur, die allerneuesten Trends der Mittelfristmodelle für die erste Monatshälfte für bare Münze zu nehmen (einige werden jetzt laut loslachen…), einen dazu passenden CFS-Lauf zu suchen und zu hoffen, dass die zweite Monatshälfte nicht gleich alles auf den Kopf stellt. Eine ziemliche Raterei also, was jetzt folgt.
Die Wahl fiel auf den allerneuesten CFS-Lauf, der ein schon vor Wochenfrist gerechnetes und zwischenzeitlich verworfenes Szenario wieder aufnimmt: Hauptakteur soll eine markante negative Geopotenzial-Anomalie auf dem zentralen Nordatlantik sein, die mit ihrer warmen Südwest- bis Südströmung weiterhin hohes Geopotenzial über der Iberischen Halbinsel stützt. Gegenspieler ist eine – wenn auch deutlich weniger stark ausgeprägte – positive Anomalie über dem Nordmeer und Skandinavien, welche zeitweise die Zirkulation blockiert. An deren Ostflanke wiederum trogt es über Osteuropa häufig aus, die daraus resultierenden CutOff-Tiefs sorgen wiederum für eine negative Anomalie über dem zentralen und östlichen Mittelmeer. Eine recht komplexe Situation also, die Mitteleuropa zur Kampfzone dieser Druckgebilde und Luftmassen unterschiedlicher Herkunft macht. Nord- bis Ostlagen wechseln sich ab mit Südwest- bis Südlagen, Westlagen treten meist nur als kurze Übergänge auf. Einzig recht sicher ist, dass unter diesen Umständen nicht mit längeren Hochdrucklagen in Mitteleuropa gerechnet werden kann.
Luftmassen suptropischer Herkunft sorgen für ein warmes Westeuropa, wobei die positiven Abweichungen bis nach Norwegen reichen, am ausgeprägtesten aber wiederum die Iberische Halbinsel “beglücken”. Unterkühlt wird fast die gesamte Osthälfte Europas gerechnet, wodurch sich ein recht scharfer Gradient irgendwo über Mitteleuropa einstellt. Überflüssig zu erwähnen, dass nur geringfügige Verschiebungen der steuernden Druckgebilde diese Grenze locker verschieben können, derzeit gehen wir aber von einem ungefähr durchschnittlich temperierten Mai in Mitteleuropa aus, mit Tendenz zu einem Plus im Westen und einem Minus im Osten.
Kampfzone Mitteleuropa bei den Luftmassen bedeutet zu dieser Jahreszeit auch, dass entlang dieser Grenzen reichlich Niederschläge fallen – insbesondere über dem Relief, also den Alpen und den Mittelgebirgen. Wobei der Mai in den Alpen sowieso von Natur aus sehr nass ist, die gerechneten Abweichungen zur Norm halten sich somit in Grenzen. Deutlicher erscheinen diese in den Gebirgen rund um die Adria, in den Pyrenäen und in Südeuropa, wo der Mai in der Regel schon sommertrocken ist und kräftige Gewitter eines CutOff-Tiefs rasch grosse Abweichungen zur Norm bringen. Wer sich vor allzu viel Nass von oben in Sicherheit bringen möchte, ist wahrscheinlich rund um die Ostsee am besten aufgehoben, aber auch im hitze- und dürregeplagten Portugal und in Südspanien, wo die prognostizierten Niederschläge nach wie vor gegen Null tendieren.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Verspätungen der Südost- und Italienzieher zeichneten sich bereits im April ab, nun sorgt auch die erste Maihälfte in diesen Regionen für ungünstige Zugebedingungen, während die Südwestzieher nach wie vor freie Bahn haben und zu einem Grossteil auch bereits in ihren Brutgebieten angekommen sind. Spannend wird sein, wie sich die Niederschläge in den Alpen auf die Abflüsse auswirken werden. Die Schneeschmelze wird nicht ausgeprägt sein, da zwar der April noch einigen Schnee geliefert hat, dieser aber niemals das Wasservolumen liefert, das eine kompakte Altschneedecke aus dem Winter bereitstellt. Sofern also nicht unwetterartige Ereignisse auftreten sollten, dürften die Pegel der Alpenrandseen eher unterdurchschnittlich bleiben. Nach wie vor kritisch bleibt die Situation an den seichten Gewässern im östlichen Mitteleuropa – die Aprilniederschläge brachten zwar etwas Linderung, die Mai-Prognosen deuten aber nicht wirklich auf eine nachhaltige Entspannung der Trockenheit hin.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe gegenüber der Klimanorm 1991-2020

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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