Bereits der März und der April haben es gezeigt: Dieser Frühling ist ausgesprochen meridional geprägt, West- und Südwestlagen haben es enorm schwer. Dies ist eine Folge des Klimaphänomens La Niña, welches vom Südpazifik aus eine Kettenreaktion an Druckanomalien vom Nordpazifik bis rüber zum Nordatlantik in Gang setzt. Kurz zusammengefasst bilden sich immer wieder Hochdruckrücken über dem Atlantik bzw. vor Westeuropa, welche die Westdrift blockieren. Das hat für Mitteleuropa zur Folge, dass vor allem meridionale Lagen aller Art auftreten, und das kann im Frühling wie im letzten Monat erlebt sowohl winterliche wie bereits frühsommerliche Phasen bringen. Der Mai 2022 birgt also einiges an Überraschungspotenzial.

Wie diese Mittelsäger werden die Vögel in diesem Mai an vielen Tagen Gelegenheit bekommen, sich in bestem Licht zu präsentieren (Neuenburgersee, Mai 2016)
Lange sah es in den Modellen nach einem ziemlich gruseligen Mai aus, zumindest für die erste Monatshälfte. Das hat sich inzwischen deutlich abgemildert und verkürzt, indem das blockierende Hoch nicht mehr weit draussen auf dem Atlantik zu liegen kommt (= stramme Nordlage), sondern eher über Westeuropa (= Hochdrucklage). So können bereits in der zweiten Maiwoche deutlich höhere Temperaturen und viel Sonnenschein erwartet werden. Nach der Monatsmitte werden die Modelle wie im Frühling üblich undeutlich in ihrer Aussage, Überraschungspotenzial ist also erneut vorhanden.
Der von uns bevorzugte Lauf zeigt eine markante Hochdruckanomalie mit Zentrum über den Britischen Inseln, die sich von Island bis zum Balkan erstreckt. Gegenpart spielen vor allem die ebenso markante Tiefdruckanomalie über Nordosteuropa und eine schwach ausgeprägte über Nordafrika und dem östlichen Mittelmeer. Es gibt also häufige Austrogungen über Osteuropa sowie eine Schwachstelle zwischen dem Azorenhoch und dem Block über Nordwesteuropa, durch welche Tiefs in Richtung Iberische Halbinsel und Marokko abtropfen können. Die häufigsten Grosswetterlagen sind somit Nordwest bis Nord (in Mitteleuropa oft antizyklonal geprägt) sowie die Hochdruckbrücke Mitteleuropa, wobei diese häufig etwas nördlich liegt und somit der Alpenraum in einer Ostströmung mit teilweise Einfluss von Mittelmeertiefs verbleibt. Zwischendurch sind auch Südlagen möglich, verursacht durch kleine Tiefs im Raum Iberische Halbinsel bis Marokko – die in diesem Jahr extreme Saharastaub-Saison ist also wahrscheinlich noch nicht vorbei.
Deutlich wärmer als normal mit etwa 3 Grad über dem langjährigen Mittel werden weite Teile Westeuropas gerechnet, etwas weniger deutlich (1-2 Grad) Mitteleuropa und Südskandinavien. Dies dürfte seltener auf warme Luftmassen, als vielmehr auf starke Sonneneinstrahlung zurückzuführen sein. Deutlich zu kühl wird Nordskandinavien bis Osteuropa gerechnet, aber auch der östliche Mittelmeerraum dürfte unter dem langjährigen Mittel bleiben.
Sehr trocken werden die Bereiche rund um Nord- und Ostsee gerechnet, aber auch das übrige Mitteleuropa bleibt wahrscheinlich niederschlagsmässig unter der Klimanorm, wenn auch weniger deutlich. Vor allem in Alpennähe und in den Mittelgebirgen darf man immer wieder mit Schauern und Gewittern rechnen, noch viel mehr ist dies am Alpensüdhang der Fall durch den gelegentlichen Einfluss von Mittelmeertiefs. Deutliche Niederschlagsüberschüsse sind von Island bis Norwegen zu erwarten, wo die für die Jahreszeit weit nördlich zu liegen kommende Westdrift verläuft. Punktuell kommt es auch im Mittelmeerraum und in Nordafrika zu überdurchschnittlichem Niederschlag, wobei die Schwerpunkte aufgrund der schwierig zu prognostizierenden CutOff-Tiefs nicht unbedingt genau dort auftreten müssen, wo es die Karte zeigt.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Späte Südostzieher können durch Schlechtwettergebiete im Bereich des Bosporus etwas aufgehalten werden, ansonsten ist in West- und Mitteleuropa kaum mit Auffälligkeiten zu rechnen. Das zu erwartende Hochdruckwetter wirkt sich hier positiv auf das Brutgeschäft aus. Ein Kälteeinbruch ist zwar bei dieser Konstellation nicht ganz auszuschliessen, dürfte aber eher von kurzer Dauer sein. Kaum Gefahr droht bezüglich Hochwasser: Grossräumige und lang anhaltende Regenfälle bei gleichzeitiger Schneeschmelze in den Hochalpen sind eher unwahrscheinlich, es können also höchstens punktuell durch starke Gewitter kleinere Gewässer betroffen sein. Geduld müssen die Brutvögel im Hohen Norden haben, dort scheint sich der Winter in diesem Jahr nur schwer vertreiben zu lassen.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur in ca. 1500 m Höhe gegenüber der Klimanorm 1981-2010

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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