Soeben ist eine Studie erschienen, die Langfristprognostiker freuen wird: Die seit über einem Jahr länger andauernden Wetterlagen sind kein Zufall, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Klimawandel und insbesondere der starken Erwärmung der Arktis zuzuschreiben. Die entsprechende Mitteilung des PIK Potsdam findet die interessierte Leserschaft hier. Dieser Umstand erleichtert unsere Arbeit dahingehend, dass man davon ausgehen kann, dass wenn sich ein neues Wetterlagenmuster einstellt, sich dieses mit höherer Wahrscheinlichkeit für längere Zeit hält. Beispiele gab es in kürzester Vergangenheit genug, was einige sehr gute Monatsprognosen auch in den sonst schwierigen Übergangsjahreszeiten belegen. Die Herausforderung besteht nun darin, abzuschätzen, wann die nächste Umstellung erfolgen wird. In zwei Wochen, in drei, oder noch später…?

Wenn Feuchtgebiete trocken fallen und der Platz knapp wird, bleiben Revierstreitigkeiten nicht aus: Stelzenläufer attackiert Säbelschnäbler (Neusiedler See / Seewinkel, Mai 2009)
Praktischerweise stellt sich die Wetterlage wieder mal zum Monatswechsel um. War der April wie erwartet hauptsächlich von Ost- bis Südlagen geprägt, sind die Weichen für die erste Maihälfte nun deutlich in Richtung Nordlagen gestellt. Dies zeigen nicht nur die heute bis zum 16. Mai rechnenden Mittelfristmodelle, sondern in Überzahl auch die Läufe des Langfristmodells CFS. Dabei gibt es wie immer Unterschiede in den Details: Wo genau kommen die Zentren der Druckgebilde hauptsächlich zu liegen, wird Mitteleuropa eher hoch- oder tiefdruckbestimmt, treffen uns die Kaltlufteinbrüche voll oder nur randlich? Und dann das zunehmende Rauschen der Modelle ab ungefähr dem 10. Mai: Anzeichen der nächsten Zirkulationsumstellung oder einfach die natürlicherweise zunehmende Unsicherheit der geschilderten Druckverschiebungen? Was man anhand der Rechnungen des Langfristmodells sagen kann: Die Nordlagen werden nicht den ganzen Mai dominieren, sonst wären die gerechneten Druckanomalien ausgeprägter. Die zweite Maihälfte wird also mit hoher Wahrscheinlichkeit einen gänzlich anderen Witterungscharakter aufweisen als die erste. Und genau da bieten die Läufe eben eine Vielfalt, vor der man kapitulieren muss: Es gilt nun mal, die Grenzen der Langfristvorhersage zu akzeptieren.
Der von uns ausgewählte Lauf zeigt ein nach Norden verschobenes Azorenhoch, dessen positive Druckanomalie gerade noch die Britischen Inseln umfasst. Eine zweite positive Druckanomalie ist über dem Nahen Osten auszumachen. Dazwischen liegt eine trogförmige negative Anomalie genau über dem Alpenraum, die Verbindung mit einer stärkeren Tiefdruckanomalie über Nordeuropa mit Zentrum zwischen Norwegen und Spitzbergen aufnimmt. Da diese Abweichungen vom Betrag her moderat ausfallen, muss man davon ausgehen, dass dieses Muster mit überwiegenden Nordlagen nur ein Drittel bis die Hälfte des Monats anhält. Da die Karte sonst keine Auffälligkeiten zeigt, ist für die zweite Monatshälfte kein deutlicher Trend auszumachen, ausser eben jener, dass die Nordlage von einem neuen, noch unbekannten Muster abgelöst wird. Erfahrungsgemäss (nun wechseln wir in den Spekulationsmodus) folgt eine kurze Phase mit Westlagen, bevor – wir haben ja immer noch Frühling, in dem Westlagen statistisch eher selten auftreten – sich eine neue blockierende Lage einstellt: entweder Hoch über Mitteleuropa oder östlich davon, also tendenziell eher wieder südliche Anströmungen. On verra!
Im Sommerhalbjahr wechseln wir wieder auf die Temperaturkarten in 1500 m Höhe, die in der Regel ganz gut die Verhältnisse am Boden wiedergeben – damit lassen sich kleinräumige, verwirrende Artefakte ausblenden. Wir sehen ein in letzter Zeit ungewohntes Bild mit überwiegend negativen Temperaturanomalien über weiten Teilen Europas, eine Folge der aussergewöhnlich kalten Nordlage im ersten Monatsdrittel. Da wir wie oben im Spekulationsmodus davon ausgehen, dass das zweite Monatsdrittel auch nicht mehr als normal temperiert daherkommen wird, müsste das letzte Drittel schon sehr sommerlich ausfallen, um den Monat noch auszugleichen oder gar ins Plus zu drehen. Nicht unmöglich und in den letzten Jahren auch schon passiert, aber nicht sehr wahrscheinlich. Man muss also davon ausgehen, dass der Mai 2019 als erster Monat nach 13 überdurchschnittlich temperierten Monaten am Ende ein Minus aufweisen wird.
Nordlagen bringen vor allem den Nordalpen und den Nordseiten der Mittelgebirge überdurchschnittliche Niederschläge. Für den Mai 2019 gilt also: Wer hat, dem wird gegeben. Andererseits sind Nordlagen in der Regel zu wenig feucht, um auch dem Flachland ordentlich einzuschenken. Die Trockenheit vor allem im nordostdeutschen Tiefland und in der Pannonischen Ebene wird sich also mit hoher Wahrscheinlichkeit fortsetzen. Die in Richtung Mittelmeer abtropfenden Tiefdruckgebiete sorgen dort stellenweise für tageweise ergiebige Regenmengen, auf das chaotische Fleckenmuster der Prognosekarte sollte man sich allerdings nicht allzu sehr verlassen, da hängt zu viel vom Zufall ab.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Der Kälteeinbruch zum ersten Mai-Wochenende kann Schneefall bis in tiefe Lagen bringen, vor allem am Alpennordrand. Ob es darauf folgend auch schädliche Spätfröste gibt, hängt stark davon ab, wie grosszügig es in den Nächten aufklart und ob der Wind einschläft. So oder so sind das vor allem für Bodenbrüter und Insekten jagende Vögel keine guten Bedingungen, Verluste bei der Brut sind wahrscheinlich nicht zu vermeiden. Bleibt zu hoffen, dass sich in der zweiten Monatshälfte rasch bessere Bedingungen einstellen, damit eine Ersatzbrut gestartet werden kann. Die aufgrund der seit einem Jahr anhaltenden Trockenheit herrschenden prekären Verhältnisse an seichten Gewässern insbesondere im östlichen Mitteleuropa haben wir bereits in den vergangenen Monaten angesprochen, hier zeichnet sich keine nennenswerte Verbesserung der Lage ab. Nebst den eingeschränkten Brutplätzen ist auch die Nahrungsgrundlage schlecht. Ein weiteres Problem dürfte sich in den Alpen und den höheren Mittelgebirgslagen abzeichnen: Der Kälteeinbruch wird im Gebirge noch mal eine ordentliche Ladung Neuschnee auf die ohnehin vielerorts noch überdurchschnittlichen Schneehöhen bringen. Auf den Bergfrühling und somit den Beginn der Brutsaison der meisten Gebirgsvögel muss man also noch eine Weile warten.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur gegenüber der Klimanorm 1981-2010

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010 (rot = trockener, blau = nasser als normal)
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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