Ein neuer Hitze-Rekordsommer soll’s also werden, wird überall rumgetrötet. Dafür müsste der Juni ordentlich vorlegen, tut er aber vorerst mal nicht. Was zweierlei bedeuten kann: Entweder findet der Hitzesommer nur in den Modellen statt oder aber er dreht nach der eher nass-kühlen ersten Junihälfte derart auf, dass es auch für Sommerliebhaber nicht mehr wirklich lustig ist. Leider ist heutzutage auf die langjährigen Erfahrungen kaum mehr Verlass, also muss man stets mit jedem Szenario rechnen, auch wenn’s bisher undenkbar war.

Glücklich, wer ein Wasservogel ist: In der ersten Junihälfte gibt’s genug Nass von oben (Blässhuhn mit Nachwuchs, Burgäschisee Mitte Juni 2018)
Die Ausgangslage könnte kniffliger nicht sein: Bisher waren Westlagen in diesem Jahr derart dünn gesät, dass man lange nach Analogien in der Vergangenheit suchen muss. Und ausgerechnet jetzt zur statistisch unwahrscheinlichsten Zeit Ende Mai bis Mitte Juni stellt sich eine persistente Westlage ein. Dabei ist es nicht etwa so, dass es zu dieser Zeit keine Westlagen gibt, aber in der Regel dauern sie kaum länger als 5-7 Tage. Und die klassische Schafskälte, die es heute kaum noch gibt, beruhte vor allem auf Nordwestlagen und Trog Mitteleuropa. Wir betreten also im 2025 wieder mal Neuland – nicht wirklich die beste Voraussetzung für eine verlässliche Monatsprognose, zumal die von den Langfristmodellen dargebotenen Lösungen wieder mal sehr reichhaltig sind und von extremen +5 Grad zur Norm 1991-2020 bis zum Ende durchgezogen leicht unterkühlt alles anbieten.
Somit empfiehlt sich einmal mehr, dem jüngsten Modelllauf zu vertrauen in der Hoffnung, dass er die neueste Entwicklung am besten erfasst. Dieser zeigt eine kräftige negative Geopotenzial-Anomalie von Grönland bis Skandinavien, also ein starkes klassisches Islandtief. Dies wird auch vom europäischen Modell mit dem Regime NAO+ bis knapp zur Monatsmitte untermauert; eher untypisch für die erste Junihälfte, die meist eher noch meridional geprägt ist und dies vor allem nach einer sehr langen Periode blockierter Westzirkulation seit Anfang Februar mit nur wenigen kurzen Unterbrechungen. Im Gegenzug wird aber auch eine zweigeteilte, mässig positive Potenzialanomalie von Neufundland bis zum Kaukasus gerechnet. Die Kerne liegen nordwestlich der Azoren und über dem Alpenraum, dazwischen besteht eine Schwachstelle in der Brücke zwischen Irland und den Kanarischen Inseln. Sie deutet die Tröge an, welche auf ihrer Vorderseite heisse Luftmassen aus Süd bis Südwest nach Mitteleuropa verfrachten sollen – logischerweise erst nach Ende der Westlagenperiode, also in der zweiten Monatshälfte.
Die Kombination Heissluftzufuhr mit Hochdruck über Mitteleuropa zur Zeit des höchsten Sonnenstandes würde eine brachiale Hitzewelle verursachen, anders ist die Temperaturabweichung über den Gesamtmonat auch gar nicht zu erklären: Von der Iberischen Halbinsel bis ins südliche Mitteleuropa soll die Abweichung in der Höhe über zwei Grad betragen, über dem westlichen Mittelmeer sogar über drei Grad. Am Boden werden im Alpenraum und im nördlichen Alpenvorland bis zu +3 Grad gerechnet, hingegen eine ziemlich schwarze Null an Nord- und Ostsee: Der Gradient von Süd nach Nord soll also sehr ausgeprägt sein. Geringe negative Abweichungen sind in Teilen Skandinaviens, in Island, Grönland und in der Schwarzmeer-Region wahrscheinlich.
Die durchschnittlichen bis leicht überdurchschnittlichen Niederschläge von Galizien über Frankreich bis Norddeutschland sowie im westlichen Alpenraum werden abgesehen von zufälligen Gewittertreffern wohl mehrheitlich in der ersten Monatshälfte fallen. Südeuropa bleibt wahrscheinlich über weite Strecken trocken, so wie sich das für einen Sommermonat gehört. Allerdings zeigt die Karte auch hier sehr lokal begrenzte Gewitter-Hotspots, wobei an dieser Stelle wieder mal der Hinweis erlaubt sei, dass diese nicht zwingend genau dort auftreten müssen, wo sie modelliert werden.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Die reichliche Bewässerung im nördlichen Mitteleuropa kommt für die meisten Wasservögel nach dem trockenen Frühjahr wahrscheinlich etwas zu spät für eine erfolgreiche Brutsaison. Immerhin wird die Nahrungsgrundlage verbessert und die prognostizierte nasse erste Junihälfte wird möglicherweise noch viel Wert sein, sollten die Hitzephantasien der Modelle für den weiteren Sommerverlauf Wirklichkeit werden. Für den Alpenraum und dessen Randseen sieht die hydrologische Lage vorerst relativ normal aus, wenn auch auf etwas tiefem Niveau mangels Schmelzwasser nach dem vielerorts schneearmen Winter. Keine gute Nachricht ist die Modellage für die Gletscher und für Hochgebirgsvögel, die der Erwärmung immer weiter nach oben ausweichen müssen – irgendwann ist dann einfach kein kühler Boden mehr unter den Füssen, weil höher als bis aufs Gipfelkreuz nun mal niemand steigen kann.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe gegenüber der Klimanorm 1991-2020

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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