Die jeweils spannendsten Fragen im Juni sind: Gibt es eine Schafskälte, wie lange dauert sie und wann stellt die nordhemisphärische Zirkulation vom Frühlings- in den Sommermodus um? Die erste Frage kann wohl mit ja beantwortet werden, sofern man die aktuelle kühle Witterung als verfrühte Schafskälte akzeptieren kann. Nach aktuellem Stand dürfte auch die Woche nach Pfingsten für diese Kategorisierung taugen. Den meisten Läufen der Langfristmodelle nach muss für die Umstellung der Zirkulation auf zonalen Sommermodus wohl bis zum Siebenschläfer-Zeitraum zugewartet werden. Bis dahin hat jene Grosswetterlage Oberwasser, die der gute F. Baur seinerzeit vergessen hat in den Katalog aufzunehmen: SM, steht für Sumpf Mitteleuropa und beschreibt die typische frühsommerliche Lage mit geringen Druckgegensätzen, im Meteorologen-Jargon auch besser als Barosumpf bekannt.

Mit einer täglich gereinigten Wasserstelle im Revier lässt sich jeder Sommer gut aushalten (frisch gebadeter Hausrotschwanz auf Balkonien, 31.05.2022)
Wenn das Langfristmodell CFS alle sechs Stunden eine völlig andere Lösung zeigt, ohne dabei extreme Varianten aufzuwerfen, dann ist Juni. Die einerseits noch meridionale Frühlingszirkulation gepaart mit maximalem Sonnenstand und Aufheizung der Landmassen sorgt für geringe Druckgegensätze, mit denen Wettermodelle naturgemäss schlecht umgehen können. Das sind beste Voraussetzungen für einen durchschnittlichen Juni nach neuer Klimanorm, wobei man sich bewusst sein muss, dass sich der Juni in den letzten 30 Jahren in Mitteleuropa um ungefähr 1.2 Grad erwärmt hat.
Angesichts der Sprunghaftigkeit des Modells kann man sich auf die neueste Rechnung konzentrieren, zumal diese eine Lösung zeigt, die kein extremer Ausreisser innerhalb des Modells wie auch im Vergleich zu anderen Modellen darstellt. Damit sollte die grossräumige Entwicklung ungefähr abgedeckt sein, gezeigte regionale Abweichungen sollten hingegen nicht allzu genau genommen werden. Gerechnet werden im Druckniveau von ungefähr 5500 m Höhe zwei positive Anomalien: Eine im Raum Südwest- bis Mitteleuropa und eine im Bereich Nordskandinavien bis Barentssee. Zwischen negativen Druckzentren über dem Nordatlantik einerseits und Zentralrussland andererseits erstreckt sich eine schwache Rinne über das Nordmeer und das Baltikum. Das Azorenhoch wird unauffällig gerechnet. Unter diesen Höhendruckfeldern wird am Boden ausser einem leicht überdurchschnittlich starken Islandtief keine Anomalie gerechnet, was auf die typisch frühsommerliche Flachdrucklage auf dem Kontinent hinweist, bei der gelegentlich Höhentiefs für zusätzliche Labilität sorgen. Das ermöglicht nahezu alle Grosswettertypen ohne Dominanz in eine bestimmte Richtung, es besteht höchstens ein Trend zu (flachen) Hochdrucklagen und zum Sektor Südwest bis Süd.
Mit Ausnahme der Zone von Südskandinavien bis Westrussland werden die Luftmassen in ganz Europa überdurchschnittlich warm berechnet, wobei die höchsten positiven Abweichungen im westlichen und zentralen Mittelmeer sowie im Hohen Norden erscheinen. Dort werden die Abweichungen am Boden um drei bis vier Grad über der Norm 1981-2010 gerechnet, in Mitteleuropa sind es je nach Region ein bis zwei Grad plus, lokal kann auch mal die +3 drinliegen, am ehesten in Alpennähe. Angesichts des in den Mittelfristmodellen gezeigten unterkühlten Monatsdrittels muss also von Mitte bis Ende Monat vor allem im südlichen Mitteleuropa mit hochsommerlichen Verhältnissen, mitunter mit Hitzewellen gerechnet werden.
Bei der Niederschlagsabweichung zeigt die Karte einen Flickenteppich positiver und negativer Bereiche, die angesichts der flachen Druckverteilung mit Schauern und Gewittern eher zufällig in den Regionen auftreten, die Karte sollte also nicht eins zu eins für den eigenen Standort gelesen werden. Klar ist nur, dass bei diesen Verhältnissen die Bergregionen deutlich stärker bewässert werden als das Flachland. Und das kann bei einem Trend zu südlichen Anströmungen am Alpensüdhang mit gewittrigem Starkregen lokal richtig viel werden.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Feucht-warme Verhältnisse im Juni sind optimal für das Nahrungsangebot und somit den Bruterfolg der meisten Vogelarten, insbesondere Insektenjäger. Bei den Alpenabflüssen sind lokale Hochwasser durch Gewitterregen möglich. Sorge macht nach dem trockenen Frühling, dass sich im Flachland insbesondere des östlichen Mitteleuropa die Trockenheit wahrscheinlich fortsetzt. Für das Auffüllen flacher Gewässer kämen reichliche Niederschläge für die aktuelle Brutsaison allerdings jetzt zu spät. Nach dem eher harzigen Frühling werden sich die Brutvögel im Hohen Norden über den überdurchschnittlich warmen Juni freuen.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur in ca. 1500 m Höhe gegenüber der Klimanorm 1981-2010

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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