Das bisherige Jahr war nicht wirklich ein Zuckerschlecken für viele unserer Brutvögel. April und Mai waren ungewöhnlich kalt und der Mai vielerorts zu nass. Solche Bedingungen machen besonders den Insektenjägern zu schaffen, die für ihre Jungen kaum Futter finden. Umso wichtiger wäre jetzt ein zumindest normal temperierter und etwas trockenerer Juni, damit die Zweit- und Nachgelege hochkommen. Diesbezüglich machen die Wettermodelle immerhin etwas Hoffnung.
Leider stehen uns die gewohnten Karten mit den Einzelläufen des Langfristmodells CFS immer noch nicht zur Verfügung, sodass wir erneut mit den Ensemble-Mitteln der jüngsten zwölf Läufe arbeiten müssen. Das mindert die Zuverlässigkeit dahingehend, dass wir aus den fehlenden Einzelläufen keinen Trend herauslesen können, z.B. ob es auffällige Ausreisser-Rechnungen gibt, die eine überraschende Entwicklung hin zu einer Extremlösung wie gerade erlebt den aussergewöhnlich kalten April und Mai andeuten. Immerhin war das Ensemble in den letzten Tagen zwar nicht im Detail, so doch im groben Muster einigermassen stabil, sodass diesmal die böse Überraschung hoffentlich ausbleibt.
Allmählich hat die Arktis ihr Pulver verschossen, der permanente Strom kalter Luft aus Norden mehr oder weniger direkt nach Europa oder auf dem Umweg über den Nordatlantik reisst ab. Damit sind auch die extremen Temperaturgegensätze über dem Nordatlantik Geschichte und die Westwindzirkulation ist bereits zusammengebrochen. In der letzten Maiwoche hat sich eine meridionale Zirkulation eingestellt, wobei sich ein Hoch über Nordeuropa eingenistet hat. Entsprechend der immer häufigeren Erhaltungsneigung kann man davon ausgehen, dass sich dieses neue Muster auch wieder eine Weile hält, und so zeigt es auch das Modell. Hochdruck dominiert über Nordeuropa und soll sich mit einem Rücken über West- und Mitteleuropa hinweg mit dem Subtropenhoch verbinden. Eine negative Anomalie herrscht jeweils über dem zentralen Nordatlantik und über Südosteuropa. Die vorherrschenden Grosswettertypen sind somit für Mitteleuropa Ost- und Hochdrucklagen, zeitweise können auch kältere Luftmassen aus Norden vor allem die östlichen Regionen streifen.
Bei den Temperaturen wird eine positive Anomalie mit Schwerpunkt über Südwesteuropa gerechnet, die sich mit einer zweiten über dem Nordmeer verbindet. Deutlich zu kühl wird es in Südosteuropa. Die Abweichung zur langjährigen Norm liegt in Mitteleuropa etwa zwischen +0.5 Grad in den östlichen und +1.5 in den westlichen Regionen. Allerdings wurde noch vor einigen Tagen allgemein mehr Wärme gerechnet und von Lauf zu lauf zurückgenommen, es sind also auch wieder kältere Lösungen im Spiel. Es würde dem bisherigen Muster der letzten Monate entsprechen, wenn sich die kälteren Lösungen schlussendlich durchsetzen. Wir sind aber zuversichtlich, dass diesmal zumindest kein zu kalter Monat dabei herauskommt.
Durch häufigen Hochdruck soll es in Nord- und Mitteleuropa vielerorts trockener bleiben als im langjährigen Mittel. Punktuell sind aber auch Regionen mit durchschnittlichen oder gar leicht überdurchschnittlichen Niederschlägen zu erkennen, so etwa im Bereich Vogesen-Schwarzwald und in den Südalpen. Zusammen mit der warm-feuchten Rechnung für Südwesteuropa ist dies ein Hinweis darauf, dass die vorherrschende trockene Kontinentalluft zeitweise von gewitterträchtigen Luftmassen aus südlichen bis südwestlichen Richtungen verdrängt werden kann, wie dies gleich für die erste Juniwoche in den Mittelfristmodellen gezeigt wird. Extrem nass wird die Region nördlich des Schwarzen Meeres gerechnet, wo die abgeschnürten Kaltluftmassen für Labilität und offenbar unwetterartige Niederschläge sorgen sollen.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Die vorherrschende östliche Windrichtung wird derzeit von Rosenstaren für die Ausbreitung nach Westen genutzt, also Augen auf! Ansonsten ist der Vogelzug zum Glück weitgehend abgeschlossen, sodass die garstigen Verhältnisse in Südosteuropa keine Auswirken mehr auf unsere heimische Vogelwelt haben. Insgesamt sieht es nach ausgleichender Gerechtigkeit aus, sofern es eine solche beim Wetter überhaupt geben kann: Die bisher viel zu warmen und trockenen Gebiete bekommen einen nass-kühlen Juni, jene mit dem Murksfrühling können sich zumindest auf etwas Normalität in Sachen Frühsommer freuen. Es wäre der Natur allerdings dienlicher, wenn die Wetterlage dynamischer wäre und sich nicht immer für mehrere Wochen zementiert. In den Alpen liegt noch viel Schnee, dem es jetzt mit mehr Wärme und Feuchte rasch an den Kragen geht. Insofern wäre es für die tiefer gelegenen Gewässer von Vorteil, wenn sich die Prognose mit einem eher trockenen Juni bewahrheitet – nach einer ähnlichen Ausgangslage 2013 gab es im Juni verheerende Hochwasser vor allem an der Donau.
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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