Anfang Juli entscheidet sich jeweils, ob der Sommer noch aus dem Quark kommt oder nicht. Die sich in dieser Zeit einstellende atlantisch-europäische Zirkulationsform hält sich in der Mehrzahl der Jahre über mehrere Wochen hinweg und prägt den Charakter unseres Hochsommers, worauf die Siebenschläfer-Regel beruht, die jedoch meist falsch ausgelegt wird: Zu glauben, dass das Wetter eines einzelnen Tages sieben Wochen unverändert bleibt, verbietet nur schon der gesunde Menschenverstand. Der grobe Charakter der ersten Juliwoche hingegen gibt Hinweise darauf, wie es weitergeht. In diesem Jahr scheinen die numerischen Modelle diese Regel zu stützen, zumindest mal was den Juli betrifft.

Nach den vergangenen trockenen Jahren werden die Feuchtgebiete wieder lebensfreundlicher (Kiebitz-Küken im Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel, 1. Juli 2008)
Der Grund, weshalb die Siebenschläfer-Regel eine so hohe Trefferquote hat, liegt in der Umstellung der nordhemisphärischen Zirkulation vom Frühlings- in den Sommermodus. Der Frühling ist die Zeit der meridionalen Wetterlagen, sprich zwischen Nord und Süd werden fleissig die Luftmassen ausgetauscht: Kalte Luft strömt aus der Arktis in den Süden und sehr warme Luft fliesst von den Subtropen in den Norden. Ende Juni bis Anfang Juli gleichen sich die Temperaturen auch dank der Mitternachtssonne nördlich des Polarkreises an, es ist nur noch wenig Kaltluft vorhanden, die nach Süden ausbrechen kann. Dadurch stellt sich wieder die übliche Westwindströmung in den gemässigten Breiten ein, was den typisch wechselhaften mitteleuropäischen Sommer prägt. Seit die Klimaerwärmung aber einerseits die Kontinente im Sommer extrem aufheizt und auch das Verhältnis der Temperaturen zwischen Arktis und subtropischem Nordatlantik aus den Fugen geraten ist, nehmen meridionale Wetterlagen auch im Sommer zu. Der Westlagen-Sommer wird also immer häufiger durch Troglagen unterbrochen, das dürfte auch 2024 nicht anders sein.
Die Mittel- und Langfristmodelle schwanken denn auch in diesen Tagen hin und her zwischen Westlagen und Troglagen. Diesem Umstand Rechnung tragend, habe ich mich für die Juli-Prognose für einen Lauf entschieden, der diese beiden Grosswettertypen kombiniert: Ein überdurchschnittlich aktiver Tiefdruckgürtel erstreckt sich vom Nordatlantik südlich von Island über Schottland nach Nordskandinavien und sorgt zusammen mit einem leicht überdurchschnittlich starken Azorenhoch für eine gesunde Westdrift. Dem gegenüber steht aber auch eine kräftige (blockierende) Hochdruckanomalie über Westrussland, zu der das Azorenhoch eine Brücke zu schlagen versucht. Diese ist jedoch brüchig, sodass gelegentlich Tröge über West- oder Mitteleuropa entstehen und Tiefs ins Mittelmeer abtropfen können. Diese Abtropfvorgänge wurden jedoch im Verlauf der letzten Woche in den Langfristmodellen allmählich etwas zurückgerechnet, der Trend geht also derzeit eher in Richtung mehr Westlagen. So oder so dürfte für einen abwechslungsreichen Juli gesorgt sein.
Die Tiefdrucktätigkeit bringt häufig maritime, sprich eher kühle Luftmassen nach Nordwesteuropa, wo sich zum langjährigen Mittel ein leicht zu kühler Juli abzeichnet, am stärksten wird die negative Abweichung mit knapp -2 Grad für Südskandinavien gerechnet. Deutlich wärmer – also teilweise mehr als drei Grad über dem langjährigen Schnitt – wird der Juli in Osteuropa. Für den Alpenraum wird keine deutliche Abweichung gerechnet, was also einem durchschnittlichen Juli entspricht bzw. erfahrungsgemäss wie bereits im Juni in ein hauchdünnes Plus zu 1991-2020 münden dürfte. Diese Durchschnittlichkeit wird allerdings durch etliche sehr kühle Tage (schon gesichert gleich Anfang des Monats) und kurze heisse Phasen (ab dem 8./9. Juli jederzeit möglich) zustande kommen.
Grosse Unsicherheit besteht wie in den Sommermonaten wegen der lokalen Abhängigkeit von zufälligen Gewittertreffern üblich beim Niederschlag. In der Fläche dürfte in Mitteleuropa ungefähr die durchschnittliche Regenmenge fallen, die zu erwartenden Troglagen werden es allerdings nicht versäumen, weiterhin für lokale oder auch mal etwas grossräumigere Unwetter zu sorgen, wobei die Alpen nicht zuletzt wegen der immer noch überdurchschnittlichen Schneemengen im Hochgebirge das grösste Risiko tragen. Aber auch vereinzelt ins Mittelmeer abtropfende Tiefs können dort für den Juli ungewöhnliche Gewitterlagen sorgen, die in der Karte gezeigte Verteilung wird aber kaum so genau stimmen.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Die in der zweiten Julihälfte bereits wieder aus dem Norden zurückkehrenden Limikolen werden in den Rastgebieten Mitteleuropas gute Verhältnisse antreffen, ein alles austrocknender Hitzesommer kann nach dem aktuellen Stand der Dinge so gut wie ausgeschlossen werden. Probleme bereiten immer noch Abflüsse aus den Alpen, die aufgrund der hohen Schmelzwasserraten und häufig wiederkehrender Starkregenereignisse Hochwasser führen, was auch die Pegel der Alpenrandseen nur langsam sinken lässt. Freude am diesjährigen Sommer haben alle Insekten- und Amphibienjäger: Deren Brut wird kaum Hunger leiden müssen, da der Tisch reich gedeckt ist und kühle Regenphasen nicht länger als ein paar Tage dauern.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur in rund 1500 m Höhe gegenüber der Klimanorm 1991-2020

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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Spendenbarometer letzte 12 Monate (orniwetter + fotometeo zusammen, Erklärungen dazu hier):
Interessierter am 3. Juli 2024 um 23:43 Uhr
Vielen Dank, Fabienne, für diese ausführlich begründete und fundierte Prognose!
Das wäre hier in SW-Deutschland nach 2 Wahnsinns-Hitzesommern mit extremer Dürre und deutlich negativen Folgen für unsere Wälder und Ökosysteme endlich mal ein kleiner Hoffnungsschimmer in der allgemeinen (bisher nur wenig entschlossen begrenzten) menschgemachten Erhitzung. Jedes Jahr, in dem nicht der Worst Case zuschlägt, gibt uns zumindest etwas mehr Zeit, endlich das Notwendige zu tun. Natürlich schlagen auch bei den aktuell dominierenden Wetterlagen u. a. angesichts der aufgeheizten Ozeane teilweise katastrophale Ereignisse, in Form von Starkniederschlägen, Überschwemmungen in erhöhter Frequenz zu. Dennoch wäre ein Sommer ähnlich wie zuletzt 2021 wohl noch das ingesamt beste denkbare Szenario.
Apropos Sommer 2021 habe ich noch eine Frage:
Auf der Website wetterzentrale.de finde ich seit einiger Zeit im Karten-„Archiv“ keinerlei Reanalyse-Karten für den Zeitraum von ca. 20. Mai bis 10. August 2021 mehr. Weder CFSR noch GFS-Reanalyse noch sonst irgendwas. Eine Bekannte von mir, die auch regelmäßig dort mitliest, hatte sogar schon direkt per Mail bei den WZ-Admins nachgefragt, aber keine Antwort erhalten.
Haben Sie zufällig mitbekommen, was da passiert ist (die Karten waren vor einiger Zeit noch abrufbar)? Oder könnten Sie vielleicht mal im Forum (Wetterwiese) nachfragen, ob dort jemand etwas weiß? Ich und auch meine Bekannte sind nicht im WZ-Forum angemeldet sind und wollen auch zukünftig nur mitlesen.
Danke für Ihr kontinuierliches Engagement und herzliche Grüße!
Fabienne Muriset am 4. Juli 2024 um 21:01 Uhr
Herzlichen Dank für das freundliche Feedback und das Interesse. Ob die Leute im Ahrtal und entlang der Alpenabflüsse und -randseen 2021 als das beste denkbare Szenario erhoffen, sei mal dahingestellt – anderswo kann man das vielleicht so sehen. Zwischen den Szenarien von 2018 und 2021 ist noch viel Raum für angenehmere Sommer.
Für Reanalyse-Karten empfehle ich das Archiv von wetter3, dort ist 2021 vollständig: https://www1.wetter3.de/archiv_gfs_dt.html
Beste Grüsse
Fabienne
Interessierter am 6. Juli 2024 um 20:30 Uhr
Ja, deshalb meinte ich „ähnlich wie 2021“. Es gibt sicherlich auch genug Szenarien für kühlere Sommer ohne derart gehäufte Extremereignisse. Herzlichen Dank für Ihr Feedback und den wertvollen Hinweis auf das Kartenarchiv von wetter3! Herzliche Grüße
Microwave am 12. Juli 2024 um 10:58 Uhr
Hoi Fabienne, „und sorgt zusammen mit einem leicht überdurchschnittlich starken Azorenhoch“, in den kommenden 2, 3 Tagen (Freitag bis Montag) ist von dem Hoch aber nicht mehr sehr viel zu sehen laut den wetter3-Karten.. oder es ist nicht mehr an seinem Stammplatz. Ist das more or less so geplant gewesen? Sollte das nicht stabiler sein? (Und ja, ich begrüsse die Instabilität natürlich, je mehr Schauer und Gewitter, je schöner für mich) Grüsse – Microwave
Fabienne Muriset am 12. Juli 2024 um 11:26 Uhr
Hoi Microwave
Da die Prognose ein Gesamtmonatsmittel umfasst, impliziert das Wort „leicht“ bei überdurchschnittlichem Azorenhoch, dass dieses nicht den ganzen Monat beständig fett an seinem angestammten Platz sitzt, sonst müsste eine andere Formulierung her wie „markante positive Abweichung“. In der Glaskugel nach ECMWF soll es etwa in einer Woche wiedererstarken. Verifikation wie immer Anfang August :-)
Grüsslis
Fabienne