Wer glaubt, nach den völlig verrückten letzten Wetterjahren müsste jetzt doch endlich wieder mal ein “normales” anstehen, den muss ich gleich mal enttäuschen: Der Januar 2023 macht unverdrossen dort weiter, wo 2022 aufgehört hat: mit Rekorden. Auf den wärmsten Jahreswechsel (einen solchen hatten wir bereits vor einem Jahr, und der wurde mal eben wieder pulverisiert) folgt jetzt erst mal eine erste milde Januarwoche. Danach zeichnet sich zwar ein Trend zur Normalisierung ab, dieser ist aber mit Vorsicht zu geniessen – mehr dazu gleich.

Ein milder Januar erhöht die Überlebenschance aller Kleinvögel wie auch dieser Sumpfmeise (Berner Mittelland, Ende Januar 2022)
Die Erfahrung mit Monatsprognosen der letzten Jahre zeigt, dass der Januar die höchste Zuverlässigkeit aufweist. Das einzige, was einem einen Strich durch die Rechnung machen kann, ist eine Zonalwindumkehr (wenn in den gemässigten Breiten Ost- statt Westwinde vorherrschen), ausgelöst durch eine rasche Stratosphärenerwärmung (sudden stratospheric warming, kurz SSW). Anders als bei einer Zonalwindumkehr, die von unten nach oben getriggert wird, wie wir das – gut prognostizierbar – Ende November bis Anfang Dezember gesehen haben, ist ein SSW, das die Zonalwindumkehr von oben nach unten in Gang setzt, etwas vom schwierigsten für die Wettermodelle und somit auch für Prognostiker. Die Langfristmodelle drehen dann gleich völlig am Rad und tischen die abenteuerlichsten Entwicklungen auf. So auch jetzt wieder. Für Mitte Januar wird ein SSW gerechnet:
Noch ist unklar, wie stark der Impuls nach unten stattfinden wird und in der Regel werden etwa zwei Wochen benötigt, bis sich das in den untersten Luftschichten auswirkt – das wäre also erst Ende Januar oder sogar Anfang Februar. Zudem findet das SSW an für Europa eher irrelevanter Stelle statt, auf der atlantischen Seite bleibt der Polarwirbel wahrscheinlich (zumindest vorerst) intakt und wir würden im Januar in westlicher, eher sogar südwestlicher Anströmung verbleiben. Soviel zum sehr tiefen Blick in die Glaskugel, der aber wichtig war für die Wahl des Modelllaufs für die Januarprognose: Sämtliche Läufe, die einen zu kalten Januar aufgrund starker Hochruckanomalie über Nordeuropa rechnen (sie sind sogar in der Mehrheit!) werden ignoriert. Das ist riskant, aber anhand der obigen Überlegungen und Erfahrungen vergangener Winter der einzig vernünftige Weg.
Der ausgewählte Modelllauf ist also eine Minderheitenlösung. Er zeigt eine ausgeprägte Tiefdruckanomalie über dem gesamten Nordatlantik mit Kern zwischen Island und Ostgrönland. Dem gegenüber steht eine gemässigte Hochdruckanomalie, welche quasi den gesamten Kontinent umfasst und in zwei Kerne über Südwest- und Nordosteuropa gesplittet ist. Die dominanten Grosswettertypen sind somit West bis Südwest, wobei sich zwischendurch auch mal ein Hoch Mitteleuropa reinmogeln kann. Kurze Rückseiten sind zu erwarten, ob diese allerdings lange genug andauern, um als Nordwestlage oder gar Trog/Tief Mitteleuropa klassifiziert zu werden, ist fraglich.
Wie bei überwiegend atlantischem Einfluss nicht anders zu erwarten, wird für fast ganz Europa ein markanter Wärmeüberschuss im Monatsmittel gerechnet: Etwa +3 Grad für weite Teile Mitteleuropas sind wahrscheinlich. Ein paar kühle Flecken weist nur der Mittelmeerraum auf, etwas grösser ist die negative Anomalie auf dem Atlantik und an den angrenzenden Küsten Nordwesteuropas.
West- bis Südwestlagen sorgen für einen überdurchschnittlich nassen Streifen von den Britischen Inseln bis zum Baltikum. Mitteleuropa dürfte bei ein paar regionalen Abweichungen durchschnittlich bewässert werden. Die Alpen bilden eine scharfe Wetterscheide, südlich und östlich davon fällt nur wenig Niederschlag.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Wer auf Linderung der Trockenheit im östlichen Mitteleuropa und ein Auffüllen der dortigen flachen Gewässer hofft, wird wahrscheinlich einmal mehr enttäuscht. Gerade für die Region um den Neusiedler See und in Ungarn wird die Trockenheit weiter verschärft, was die Gegend nicht nur für Wintergäste unbrauchbar macht, sondern auch die nächste Brutsaison gefährdet – es bleibt nur noch die Hoffnung auf ein nasses Frühjahr. Weiterhin kein Thema sind massive Winterfluchten nordischer Arten in Richtung südliches Mitteleuropa, so lange es im Norden überdurchschnittlich mild bleibt. Die Gewässer im nördlichen Mitteleuropa, die während der Kältewelle Mitte Dezember zugefroren waren, sind seit dem markanten Weihnachtstauwetter für Wasservögel wieder zugänglich. Bei anhaltend warmen West- bis Südwestwinden ist es sogar wahrscheinlich, dass manche Kurzstreckenzieher vorzeitig den Heimzug antreten.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur 2 Meter über Boden gegenüber der Klimanorm 1991-2020

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1991-2020
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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