Nachhaltige Wintereinbrüche sind in Mitteleuropa inzwischen auch im Januar recht selten geworden, daran dürfte auch 2022 nichts ändern. Dabei wäre die Ausgangslage mit dem seit Ende November über Skandinavien und Nordwestrussland lagernden Kaltluftreservoir wie so oft in den letzten Jahren gar nicht so schlecht gewesen – es blieb aber an Weihnachten genau in der Mitte Deutschlands stecken und seither verdrängt die erstarkte Westwinddrift die Kaltluft allmählich zurück nach Nordosten. Derzeit deutet alles darauf hin, dass sich die arktische Kaltluft immer mehr nach Grönland und Nordamerika verlagert – schlechteste Bedingungen für Winterfreunde in Europa.
Dass weiten Teilen Europas ein milder bis sehr milder Januar ins Haus steht, darüber lassen die Langfristmodelle derzeit keine Zweifel aufkommen. Die einzige Frage die zu klären bleibt wäre: unter welchen Umständen? Es sieht nach einem Mix von feucht-milden Westlagen und höhenwarmen Hochdrucklagen im Wechsel aus – also in etwa das, was wir seit Mitte Dezember erleben. Wobei das europäische Modell im Januar die Hochdruckphasen stärker gewichtet, das amerikanische CFS hingegen die Westwindphasen. Unsere Prognose versucht daher einen Kompromiss zu finden.
Unser bevorzugter Modelllauf zeigt eine mässige Hochdruckanomalie mit Zentrum über dem zentralen Mittelmeer mit schwacher Ausdehnung nach Norden bis Skandinavien. Als Gegenpart figuriert eine ebenfalls mässige Tiefdruckanomalie von Island bis nach Nordwesteuropa, wiederum flankiert von einer Hochdruckanomalie über dem westlichen Nordatlantik und Grönland. Daraus kann man schliessen, dass im Grossen und Ganzen die Westlagen dominieren, aber eben nicht nur. Dazwischen gibt es immer wieder Versuche eines Blockadehochs über dem europäischen Kontinent – fragt sich noch ob direkt über uns oder eher etwas östlich. Dominierende Grosswetterlagen im Januar werden demzufolge West zyklonal (eventuell Winkelwest) und West antizyklonal sein, aber auch Südwestlagen können mitspielen oder mal für ein paar Tage Hoch Mitteleuropa. Kalte Rückseiten (Nordwest- bis Nordlagen) sind wahrscheinlich jeweils nur von kurzer Dauer, sodass sie womöglich die erforderliche Dreitageslänge für die Klassifizierung als eigenständige GWL nicht mal erreichen.
Die Karte mit der Temperaturabweichung zeigt die Dominanz milder Luftmassen in weiten Teilen Europas eindrücklich: +3 Grad oder regional sogar höhere Abweichungen zum Mittel 1981-2010 sind nicht unwahrscheinlich. Ein bisschen Restkälte wird noch über Teilen Skandinaviens gerechnet: Hier ist es in der ersten Januarwoche noch deutlich kälter als normal, im Verlauf des Monats soll die Kälte aber auch hier nach und nach ausgeräumt werden. Diese konzentriert sich dann nur noch auf Grönland und treibt die Tiefdruckproduktion auf dem Nordatlantik weiter an.
Mit den Westwindtiefs wird es in West- und Mitteleuropa meist durchschnittlich bis leicht nasser als normal. Eine etwas ausgeprägtere positive Niederschlagsbilanz dürfte am Alpennordhang resultieren, was aber hauptsächlich in der ersten Januarwoche geliefert wird, danach sind längere trockene Phasen wahrscheinlich. Ob auch die Alpensüdseite etwas abbekommt, hängt davon ab ob sich zwischendurch eine Südwestlage einstellt – andernfalls bleibt es dort mit häufigem West- bzw. Nordföhn deutlich zu trocken. Dasselbe gilt für die Gebiete östlich der Alpen.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Wie gewonnen, so zerronnen: Die rekordverdächtigen Schneemengen in den Alpen von Anfang Dezember wurden mittlerweile von Regen bis ins Hochgebirge arg dezimiert, was Gebirgsvögeln die Möglichkeit gibt, sich wieder weiter oben aufzuhalten. Die skandinavische Kälte hat bisher auch nicht allzu viele Winterflüchter nach Mitteleuropa gebracht, das dürfte sich mit der zunehmend milderen Witterung im Norden kaum ändern – es sei denn, die Nahrung geht aus anderen Gründen aus. Allzu optimistisch sollte man allerdings nicht sein. Gefrierende Gewässer sind in Mitteleuropa bis auf weiteres auch kein Thema, sodass die bereits anwesenden Wasservögel noch eine Weile bleiben dürften. Es würde zudem nicht erstaunen, wenn die letzten, erst an Weihnachten nach Südwesten geflüchteten Kraniche schon bald wieder zurückkehren.
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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