Was will dieser Winter eigentlich? Diese Frage kann nach dem ersten Drittel immer noch nicht schlüssig beantwortet werden. Einerseits sind da die Ausgangsbedingungen einer positiven NAO, die für einen eher milden Winter in Europa sprechen. Auf der anderen Seite die Situation in der Stratosphäre, die – wie bereits im letzten Winter – für ein regelrechtes Chaos im geordneten Ablauf der nordhemisphärischen Zirkulation sorgen kann. Diese widersprüchlichen Signale sind weder von Meteorologen noch von den Wettermodellen unter einen Hut zu bringen. Und das sind keine guten Vorzeichen für eine qualitativ hochstehende Monatsprognose. Wir versuchen es trotzdem…

Ob Sauwetter oder Tauwetter, ist eine Frage des persönlichen Standpunktes. Kormoran und Blässhuhn auf der Neuen Donau in Wien nach dem kalten Winter 2009/10.
Bis zum Mittagslauf des 28.12. war das Langfristmodell CFS noch klar auf der Linie einer Fortsetzung der über weite Strecken milden Witterung in Europa. Inzwischen hat sich aber ein sudden stratosphere warming (SSW) eingestellt, also eine rasche Erwärmung der Stratosphäre in rund 30 km Höhe. Ein solches kann – wie im letzten Februar geschehen – eine Umkehrung des Zonalwindes zur Folge haben. Statt der üblichen Westwinde dreht der Wind in der subpolaren Zone der Nordhalbkugel auf Ost. Dieser Prozess beginnt wie gesagt in 30 km Höhe und kann sich allmählich nach unten bis in die Troposphäre durchsetzen, muss aber nicht. Momentan scheint dieser Einfluss südlich des 70. Breitengrades auszubleiben, Prognosen sind diesbezüglich aber schwierig, wie das Beispiel im letzten Winter gezeigt hat. Entsprechend läuft CFS seit drei Tagen heiss und tischt mit jedem Lauf eine andere Lösung vom einen Extrem ins andere auf, für unsere Januar-Aussichten also wenig hilfreich…
In einer solchen Situation hat man als Meteorologe nur zwei Möglichkeiten: Man setzt voll auf das SSW-Pferd oder geht davon aus, dass dessen Einfluss gering bleibt. Ich habe mich persönlich für die zweite Version entschieden, nicht zuletzt weil zahlreiche Vorzeichen für einen milden Westlagen-Winter nach wie vor gegeben sind. In diesem Szenario ist die aktuelle Blocking-Lage mit dem kugelrunden und kräftigen Hoch über dem östlichen Nordatlantik bis Westeuropa nur eine vorübergehende Erscheinung. Es ist bloss eine Frage der Zeit, bis der Atlantik wieder Fahrt aufnimmt und das Hoch überläuft, bzw. dieses an seinen angestammten Platz bei den Azoren verdrängt wird. Um das mir vorschwebende Szenario in einer Karte zeigen zu können, musste ich auf einen vier Tage alten Modelllauf zurückgreifen: Über den ganzen Monat gemittelt bleiben nur Reste einer Hochdruckdominanz im Bereich Azoren und Skandinavien übrig, während sich eine Tiefdruckanomalie von der Südspitze Grönlands bis Island abzeichnet und eine weitere als Rest der Anfang Januar über Osteuropa ausbrechenden Polarluft im östlichen bis zentralen Mittelmeerraum liegen bleibt. Übersetzt heisst dies: Im ersten Monatsdrittel überwiegen Nord- bis Nordwestlagen, ab dem zweiten Monatsdrittel müssten – wenn es nach meinen Vorstellungen läuft und das SSW keinen Strich durch die Rechnung macht – wieder Westlagen allmählich das Zepter übernehmen. Um Gewissheit zu haben, müsste man mit der Prognose bis etwa zum 5. Januar abwarten: Dann nämlich sollte sich abzeichnen, ob doch das SSW gewinnt. Doch wer will schon erst am 5. des Monats eine Monatsprognose lesen…?
Die wiedererstarkende Westdrift wird weiten Teilen Nordeuropas einen überdurchschnittlich milden Januar bescheren, was nicht zuletzt den immer noch hohen Wassertemperaturen als Folge des Rekordsommers in der Nordsee geschuldet ist. Je weiter ins Landesinnere, umso schwerer wird es die die milde Atlantikluft zunächst gegen die auf dem Kontinent liegende Kaltluft haben. Im Osten Europas wird im Schnitt ein zu kalter Monat resultieren, während es in Mitteleuropa wohl auf eine Nullnummer – gemittelt aus kalter erster und milder zweiter Monatshälfte – herauslaufen wird. Das Chaos auf der Temperaturkarte rund um die Alpen ist also nicht ganz für voll zu nehmen: Tendenziell wird es in der Höhe wohl kälter als im langjährigen Mittel bleiben, ebenso in eher windgeschützten Lagen und nach Osten hin.
Die Nordlage zu Beginn des Monats bringt zwar direkt am Alpennordhang einigen Neuschnee, in Wasseräquivalent umgerechnet ist dies allerdings relativ wenig, weil fluffig. Zusammen mit den nachfolgend anrennenden atlantischen Fronten dürfte es wohl auf einen ungefähr normal feuchten Monat hinauslaufen mit Tendenz zu überdurchschnittlichen Niederschlagsmengen am Alpenhauptkamm. Die Karte zeigt allgemein wenig extreme Abweichungen, am ehesten fällt noch der feuchte Mittelmeerraum auf. Sollte die Westlage voll aufdrehen, sind die Niederschlagsmengen in Westeuropa wohl eher zu niedrig angesetzt.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Einige nördliche Gäste hat es ja bereits nach Mitteleuropa verschlagen, die kommende Nordlage dürfte diesbezüglich noch etwas nachhelfen. Wer also auf Besuch von Seidenschwanz, Bergfink, Zwergschwan und Raufussbussard hofft (um nur ein paar prominente Beispiele zu nennen), hat in diesem Winter auch im südlichen Mitteleuropa gute Chancen. Fragt sich dann nur, ob diese Gäste bei einer Milderung in der zweiten Januarhälfte auch bleiben. Es wird wahrscheinlich vom lokalen Nahrungsangebot abhängen, und dieses ist nach dem kuriosen Sommer 2018 wohl regional sehr unterschiedlich. Kleine, seichte Gewässer sind beim stetigen Auf und Ab der Temperaturen in diesem Winter von einem Wechsel zwischen gefrorener und offener Phase betroffen (sofern sie im Spätherbst überhaupt aufgefüllt wurden), von einem Zufrieren grösserer Gewässer sind wir allerdings beim aktuellen Stand der Lage sehr weit entfernt.

Prognostizierte Abweichung der Monatsmitteltemperatur gegenüber der Klimanorm 1981-2010

Prognostizierte Abweichung des Monatsniederschlags gegenüber der Klimanorm 1981-2010 (rot = nasser, blau = trockener als normal)
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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Kurt Nadler am 2. Januar 2019 um 17:00 Uhr
Liebe Fabienne!
Danke, dass Du auch heuer mit Deinen interessanten Beiträgen weitermachst.
Alles Gute für 2019
Kurt