Je mehr das globale Klima aus den Fugen gerät, umso schwieriger werden die Langfristprognosen. Wettermodelle müssen mit Szenarien rechnen, die bei ihrer Programmierung noch nicht mal in den Albträumen der Modellentwickler vorhanden waren, geschweige denn in der ihnen zugrunde liegenden Datenbasis der Klimanormwerte. Die durchschnittliche Oberflächentemperatur der gesamten Nordhemisphäre liegt per 30. November 1.6 Grad über dem Klima 1979-2000, bzw. 0.4 Grad über dem bisherigen Rekord von 2015. Die Wassertemperatur der gesamten Nordatlantiks liegt aktuell ein ganzes Grad höher als die Klimanorm 1981-2010. Was nach wenig klingt, ist in diesen Dimensionen gewaltig und kann nicht ohne Folgen auf unser Wetter bleiben.
Ungeachtet der globalen Überhitzung herrschen derzeit in Skandinavien und Nordwestrussland aussergewöhnlich tiefe Temperaturen, was natürlich in scharfem Kontrast zu den viel zu warmen Meeren weiter westlich und südlich steht. Kein Wunder, geben sich bei solchen Temperaturdifferenzen Tiefdruckgebiete mit teils rekordverdächtigen Ausmassen die Klinke in die Hand, gefüttert durch das enorme Feuchteangebot der vor sich hin dampfenden Meere. Die Zugbahnen und tiefsten Luftdrücke sind immer wieder überraschend, dies bereits seit dem Spätsommer – ein Ende dieses Chaos’ ist nicht in Sicht. Die Modelle sind entsprechend überfordert.
Die enorme Unsicherheit wurde bereits in unserer Winterprognose thematisiert. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die neuesten Entwicklungen in den Mittel- und Langfristmodellen für die Monatsprognose zu berücksichtigen – im Wissen, dass diese bereits morgen wieder über den Haufen geworfen werden können. Als Beispiel sei hier das aktuelle Ensemble des amerikanischen Globalmodells in Ostdeutschland gezeigt, viel Glück bei der Prognose ab dem 7. Dezember!
Der unserer Prognose zugrunde liegende Lauf rechnet mit einer enormen positiven Druckanomalie vom Kanadischen Archipel über das europäische Nordmeer und Skandinavien hinweg bis nach Mittelsibirien, wobei das Zentrum über Nordskandinavien zu liegen kommt. Südlich daran anschliessend folgt eine negative Druckanomalie mit Zentrum knapp südwestlich der Britischen Inseln, das sich über ganz West- und Südeuropa erstreckt. Die daraus folgenden häufigsten Wetterlagen sind südliche Westlage, winkelförmige Westlage, Tief Britische Inseln, Tief Mitteleuropa sowie allfällige zyklonale Ostlagen und somit sämtliche Schweinereien, welche das “gemässigte Klima” Mitteleuropas auf Lager hat. Das seit Mitte Oktober vorherrschende, extrem tiefdruckbestimmte Wetter geht also in die Verlängerung.
Die Kälteanomalie in Skandinavien und Nordwestrussland wird zwar im Lauf des Monats allmählich abgebaut, das im ersten, sehr kalten Monatsdrittel aufgelaufene Minus kann aber bei weitem nicht wettgemacht werden. Eine leicht negative Abweichung ist auch auf dem zentralen Nordatlantik auszumachen – die einzige Stelle weit und breit, wo das Wasser derzeit kühler ist als im langjährigen Schnitt. Teils deutlich wärmer als normal wird der gesamte Mittelmeerraum, aber auch weite Teile der Arktis. Die enormen Temperaturunterschiede zwischen diesen Anomalien sind der Motor für die stetige Tiefdruckbildung. In Mitteleuropa wird sich wahrscheinlich ein deutliches Südwest-Nordost-Gefälle manifestieren, wobei die Grenze zwischen positiver und negativer Abweichung zur Klimanorm zum jetzigen Zeitpunkt völlig unprognostizierbar ist (siehe Ensemble-Diagramm oben). Wahrscheinlich sind immer wieder hin- und her pendelnde, relativ scharfe Luftmassengrenzen und somit eine Schneefallgrenze auf Achterbahnfahrt. Auf das Weihnachtstauwetter ist allerdings Verlass – fragt sich nur, ob es kurz vor Weihnachten einsetzt oder schon eine Woche oder gar zwei Wochen früher.
Bei mehrheitlich südlicher Zugbahn der Tiefs sind deutlich überdurchschnittliche Niederschläge an den Westküsten Süd- und Westeuropas vorprogrammiert, insbesondere in Portugal/Galizien, in der Bretagne und am Westbalkan. Auch die West- und Südalpen müssen mit deutlich mehr Schnee rechnen als üblich. Auf der Alpennordseite wird die Sache sehr unsicher, da der Anteil an südlichen Anströmungen und somit Föhneffekte nicht klar ersichtlich ist. Nahezu trocken bei häufigem Ostföhn bleibt es an der norwegischen Atlantikküste – ein Geheimtipp für alle, welche die aufgrund der aktuell hohen Sonnensturmaktivität erhöhten Chancen auf Polarlichter nutzen möchten.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Der seit Oktober herrschende Winter in Nordeuropa hat bereits viele nordische Arten nach Mitteleuropa gespült, auch der Seidenschwanz wird in Norddeutschland zunehmend häufiger beobachtet. Aufgrund der weiterhin kalten Aussichten für Skandinavien und Nordwestrussland kann mit weiteren Invasionen gerechnet werden. Noch unklar ist allerdings, wie weit nach Süden diese Winterfluchten stattfinden werden. Aufgrund der hohen Niederschläge in weiten Teilen Mitteleuropas hat sich die Situation an den Flachgewässern und somit Rastgebieten markant verbessert, ein grossflächiges Zufrieren ist ausser im Nordosten derzeit nicht zu erwarten.
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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