„Ein Sommer, wie er früher einmal war?“ – so lautete der Titel unserer diesjährigen Siebenschläfer-Prognose. Inzwischen kann die Frage mit „ja!“ beantwortet werden, wenn auch nur, was die grossräumigen Wetterlagenmuster betrifft. Der typisch wechselhafte mitteleuropäische Sommer mit raschen Abfolgen kühler und sehr warmen Phasen und immer wieder ausreichend Niederschlägen, in den letzten Jahren eine Rarität geworden, hat uns wieder. Der einzige Unterschied: Es ist deutlich wärmer geworden, ungefähr zwei Grad. Dasselbe Zirkulationsmuster in den 70er und 80er Jahren hat uns noch richtig kühle Sommer beschert – Tempi passati. So schlittern wir bei Monatsmitteln knapp über der Vergleichsperiode 1991-2020 dahin, der Kontinuität der Erwärmung wird also auch in einem wechselhaften Sommer kein Einhalt geboten. Die neue Normalität, die uns nach zahlreichen Hitzesommern mittlerweile eher kühl vorkommt, hat vor knapp 50 Jahren sogar noch Allzeitrekorde gebrochen.
Erfreuliche Einigkeit bei den führenden Wettermodellen zeigen deren Ensemble-Mittel über den gesamten August gerechnet – die einzelnen Läufe hingegen weisen eine recht grosse Varianz in den Details auf. Am besten ignoriert man die Ausreisser in beide Richtungen komplett und sucht sich einen Lauf aus, der dem Ensemble-Mittel recht nahe kommt: Diese Strategie hat zuletzt ganz gut geklappt. Da dies gleichzeitig auch die modern ausgelegte Siebenschläfer-Regel bestätigt, kann man damit wahrscheinlich nicht ganz falsch liegen. Eine (noch unsichere) Umstellung des Zirkulationsmusters mit einer Nordostverlagerung des Hochdruckschwerpunkts deutet sich erst für das letzte Augustdrittel an, das wäre dann wiederum genau das Ende des Siebenschläfer-Zeitraums.
Grundlage für die Prognose ist eine umfangreiche Tiefdruckanomalie zwischen Grönland und Schottland mit Zentrum knapp südlich von Island. Dem gegenüber steht eine nicht ganz so stark ausgeprägte Hochdruckanomalie, die einen Bogen von Neufundland bis nach Mitteleuropa spannt und sich mit einer Schwachstelle über Osteuropa bis in den Nahen Osten fortsetzt. Südlich dieser „Hochdruckbrücke“ schliesst sich wieder normales bis leicht zu tiefes Geopotenzial über den Azoren und dem zentralen Mittelmeer an. In dieses Muster eingebettet ist eine im Schnitt überdurchschnittlich gut ausgeprägte Westströmung, die typischerweise über Mitteleuropa auch immer leicht zwischen Nordwest und Südwest pendelt. Der dominierende Grosswettertyp ist somit West, häufig antizyklonal geprägt mit kurzen Unterbrechungen durch zyklonale Vorder- und Rückseiten, mit viel Glück auch mal ein Hoch Mitteleuropa für ein paar Tage. Trogmuster mit Abtropftendenzen und sich dahinter schliessender Hochdruckbrücke sind deutlich weniger geworden, können aber nicht völlig ausgeschlossen werden. Eine mögliche Umstellung auf Nord- bis Ostlagen deutet sich erst zum Monatsende an, ist aber naturgemäss in dieser Zeitspanne mit Unsicherheiten behaftet.
Die am Südrand des kräftigen Tiefs vorherrschende Nordwest- bis Westströmung transportiert immer wieder kühle Luftmassen von Grönland in Richtung Irland und Schottland und in der Fortsetzung abgeschwächt über die Nord- in die Ostseeregion, sodass hier mit einem knappen Minus zur Vergleichsperiode 1991-2020 gerechnet werden muss. Je weiter südlich, umso häufiger sind subtropische Luftmassen mit im Spiel: Im nördlichen Alpenvorland kann mit einer Abweichung von etwa +1 Grad, inneralpin gar knapp mit +2 Grad gerechnet werden. Der bisherige Hitzepol über dem Balkan schwächt sich etwas ab, die ausgeprägteste positive Temperaturanomalie spannt nun einen Bogen von der Iberischen Halbinsel über die Alpen hinweg nach Südosteuropa. Noch wesentlich deutlichere Abweichungen um +5 Grad findet man zwischen dem Nordkap und Spitzbergen. Diese sind zusammen mit dem grönländischen Eisschild und dem zwischen diesen beiden Regionen entstehenden Temperaturgradienten von rund 30 Grad denn auch der Antriebsmotor für die Wetterlagenmuster dieses Hochsommers.
Die Niederschlagsverteilung lässt einen in der grossen Fläche recht normalen August in Mitteleuropa erwarten – lokal heftige Gewittertreffer können dabei selbstverständlich nicht in eine Langfristprognose mit einfliessen. Dramatischer als in der Realität sehen die gerechneten Abweichungen in Teilen Südeuropas aus: Da dort normalerweise im Hochsommer kaum Niederschlag fällt, kann ein einzelner Gewittertag enorme prozentuale Abweichungen bringen. Wer es gerne wirklich nass mag, wird am besten zwischen Island, Schottland und der norwegischen Küste bedient.
Auswirkungen auf die Vogelwelt:
Der Vogelzug aus dem Hohen Norden ist bereits voll im Gang, insbesondere Limikolen sind dabei auf gute Rastgebiete in Mitteleuropa angewiesen. Schlickflächen fehlen derzeit wegen des hohen Wasserstands der Alpenrandseen noch vielerorts und die doch etwas trockenere zweite Julihälfte hat auch die Überschwemmungsflächen aus den Juni-Unwettern abtrocknen lassen. Wo heftige lokale Gewitter für vorübergehend überflutete Ackerflächen und Wiesen sorgen, können sich daher an ungwöhnlichen Stellen rastende Zugvögel sammeln. Durch die nun schon länger anhaltende Wärmephase hat sich der Schnee in den Hochalpen weitgehend verflüssigt, der Schmelzwassernachschub versiegt allmählich und da keine Dauerregenphase in Sicht ist, sollten sich die Wasserstände an den Seen bis zum Ende des Monats allmählich normalisieren.
Die experimentelle Monatsprognose nimmt Trends über die zu erwartende Entwicklung der Grosswetterlage in Europa auf und soll mögliche Auswirkungen der Witterung auf Vogelzug, Bruterfolg und Nahrungsverfügbarkeit der Vögel in den verschiedenen Regionen aufzeigen. Die Einschätzungen über Abweichung von Temperatur und Niederschlag sind jeweils über den Gesamtmonat gemittelt und können somit auch sich ausgleichende Extreme enthalten. Eine genaue Prognose über den detaillierten Witterungsverlauf ist in der Regel nicht möglich. Erfahrungsgemäss stimmt der Trend für die erste Monatshälfte recht gut, während in der zweiten Monatshälfte die Wahrscheinlichkeit von markanteren Abweichungen gegenüber der Prognose zunimmt.
Eine Verifikation der Langfristprognose für den vergangenen Monat mit einem Rückblick der Witterung in Europa finden Interessierte jeweils ab dem 4. des Folgemonats im Blog der Partnerseite fotometeo.ch.
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