In unserer Monatsprognose für den Oktober wie auch im Birder-Wetterbericht vom 07.10.2016 haben wir es angekündigt: Die Grosswetterlage ist dafür prädestiniert, asiatische Vogelarten nach Europa zu verdriften. Nun häufen sich seit einigen Tagen die Meldungen: Besondere Aufmerksamkeit erhielt eine Bergbraunelle auf der Greifswalder Oie, Erstnachweis dieser Art in Deutschland. Das ist aber bei weitem noch nicht alles, auch aus den Nachbarländern werden seltene Arten gemeldet.

Bergbraunelle von Jargal Lamjav from Ulaanbaatar, Mongolia – Siberian Accentor (Prunella montanella) – Сибирийн хайруулдай, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39422345
Die Bergbraunelle brütet in Nordsibirien zwischen dem Nordural und der Tschuktschen-Halbinsel und zieht im September/Oktober normalerweise über Kasachstan und die Mongolei in ihre Überwinterungsgebiete in Süd- und Südostasien. Seit dem 4. Oktober wurden auch Sichtungen aus Finnland, Schweden, Dänemark, Polen und sogar aus Schottland gemeldet (für Grossbritannien ebenfalls ein Erstnachweis). Es besteht kein Zweifel, dass diese aussergewöhnliche Häufung mit der Wetterlage des ersten Oktoberdrittels zusammenhängt:
Diese Karte zeigt die aussergewöhnlichen Strömungsverhältnisse im ersten Oktoberdrittel. Die Farbflächen markieren die Abweichung der Windgeschwindigkeit in rund 900 m Seehöhe zum langjährigen Mittel, die Pfeile zeigen die mittlere Windrichtung an. Wir erkennen eine markante Ostströmung über ganz Sibirien hinweg bis ins nördliche Mitteleuropa. Interpretationsbeispiel: Ein Kleinvogel, der im grün markierten Gebiet direkt nach Süden fliegen möchte, wird pro Stunde um rund 36 km (= 10 m/s) nach Westen verdriftet. Man beachte, dass es sich hierbei um einen zehntägigen Mittelwert handelt. An einzelnen Tagen war die Windgeschwindigkeit weitaus höher. Beispiel 6. Oktober: Der langjährige Mittelwind (auf den der Zugvogel wahrscheinlich genetisch geprägt ist) liegt bei 5 m/s aus West. An diesem Tag herrschte jedoch im fraglichen Gebiet zwischen Nordural und der Ostsee ein Ostwind von 18 m/s. Der Vogel wurde also um 23 m/s von seiner ursprünglichen Flugrichtung nach Westen verdriftet, das sind ungefähr 83 km pro Stunde.
Nicht nur Bergbraunellen sind von dieser starken Ostströmung erfasst worden. Eine Auswahl östlicher Irrgäste der letzten Tage (Quelle: netfugl.dk):
16.10.2016 Dunkellaubsänger (Niedersachsen)
15.10.2016 Pallasschwarzkehlchen (Polen), Lasurmeise (Schweden), Isabellsteinschmätzer (Niedersachsen), Fichtenammer (4. Nachweis für Dänemark)
14.10.2016 Zwergammer (4. Nachweis für die Färöer-Inseln)
13.10.2016 Nonnensteinschmätzer (Helgoland), Wüstensteinschmätzer (Polen), Dunkellaubsänger (Polen), Pallasammer (Erstnachweis für Schweden)
12.10.2016 Tienschan-Laubsänger und Dunkellaubsänger (beide Greifswalder Oie)
10.10.2016 Tüpfelsumpfhuhn und Waldammer (Island!), Bartlaubsänger (Polen), Maskenammer (Schottland), Zwergammer (Färöer-Inseln)
09.10.2016 Schwarzflügel-Brachschwalbe (Polen), Steppenkiebitz (Baden-Württemberg), Fischmöwe (Mecklenburg-Vorpommern), Wanderlaubsänger (Frankreich)
Des weiteren werden auch in diesem Jahr zahlreiche Gelbbrauen-Laubsänger aus verschiedenen Ländern gemeldet.
Da die weitere Wetterentwicklung erneut ein Skandinavien-Hoch und ein Tief über Mitteleuropa zeigt, werden in der kommenden Woche wahrscheinlich noch mehr östliche Irrgäste herbeigeweht. Zumindest ist diese Wetterlage nicht dafür geeignet, dass einmal in Mitteleuropa gelandete Irrgäste so rasch wieder auf den richtigen Weg finden. Augen offen halten lohnt sich somit!
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David Marques am 16. Oktober 2016 um 21:30 Uhr
Spannende Wetterdaten! In der Analyse fehlt aber die Biologie dieser Irrgäste – die Bergbraunelle zeigt im Gegensatz zu anderen genannten Arten ein unterschiedliches Zugmuster, sie überwintert weiter nördlich als Gelbbrauen/Dunkellaubsänger und zieht deutlich später als die beiden Arten (zumindest kommt sie spät an der Chinesischen Küste an). Das macht es plausibel, dass die aussergewöhnliche Wetterlage das aussergewöhnliche Auftreten der Berbraunelle nach Westeuropa begünstigte. Ich bezweifle aber, dass dieselbe Wetterlage einen grossen Einfluss auf das Auftreten von Gelbbrauen/Dunkellaubsänger und anderen genannten Arten hat. Der frühere Zug der Arten macht dies weniger wahrscheinlich und ob die Zahlen dieses Jahres aussergewöhnlich sind wird sich zeigen (ich vermute nicht). Die Arten treten regelmässig auf in Westeuropa, gemäss gängiger Hypothese vorwiegend aufgrund 180-Grad verdrehtem Kompass und nicht primär wegen Wetterverdriftung. Ich bin mal gespannt, ob weitere Arten mit ähnlicher Verbreitung / Zugmuster wie die Bergbraunelle (gehäuft) auftreten werden, z.B. Wald-/Fichtenammer, Rosengimpel/Orientturteltaube oder Rostflügeldrossel?