Vogelbeobachter in Mitteleuropa diskutierten im Mai 2011 angeregt über das Ausbleiben der aus Ostafrika über den Bosporus ziehenden Langstreckenzieher. Zunächst kamen die Weissstörche verspätet an und Anfang bis Mitte Mai waren noch keine Neuntöter, aber auch kaum Sumpfrohrsänger und Schlagschwirle in ihren Brutgebieten angekommen. Auch aus den Beobachtungsgebieten im östlichen Mittelmeerraum wurden auffällige Verschiebungen gemeldet: Durchziehende Arten waren Anfang Mai verspätet und die Brutvögel liessen sich noch nicht blicken.
Eine Erklärung war damals rasch gefunden: Die auffällig stabile Hochdrucklage über Mitteleuropa besorgte uns zwar sehr warmes und trockenes Wetter im April und Mai, gleichzeitig herrschte aber über Osteuropa Tiefdruck. Zwischen diesen beiden Druckgebilden stellte sich eine beständige Nordlage ein, die gerade am Bosporus die stärksten Auswirkungen zeigten: Häufig kräftiger Nordwind, Regenwetter und Kälte. Die Südostzieher wurden dadurch gebremst, während die Südwestzieher über Gibraltar Rückenwind und Wärme vorfanden – entsprechend kamen die über Spanien ziehenden Arten rechtzeitig in Mitteleuropa an.
Erst nach Mitte Mai trafen die vermissten Vögel in ihren Brutgebieten ein und die Lage normalisierte sich. Trotz der Verspätung wurden keine nachteiligen Auswirkungen auf den Bruterfolg der Vögel beobachtet.
Ein Forschungsteam um Anders P. Tøttrup an der Universität Kopenhagen hat nun in “Sience” ihre Studie zu diesem Phänomen veröffentlicht. Anhand von Geodaten, die sie aus den Minisendern von 18 Neuntötern und 8 Sprossern auslesen konnten, wurden die Vögel bereits vor dem Bosporus aufgehalten: Wegen der anhaltenden Dürre am Horn von Afrika fanden die Vögel dort zu wenig Nahrung. Dies führte zu einem wesentlich längeren Aufenthalt in diesen Gebieten und somit zur verspäteten Ankunft in Mitteleuropa. Nicht über das Horn von Afrika ziehende Arten waren gemäss dieser Studie nicht betroffen.
Dennoch stellten die Beobachter in Mitteleuropa auch bei solchen Arten Verspätungen fest, was folgenden Schluss zulässt: Im Nahen Osten überwinternde Mittelstreckenzieher wurden durch die Wetterlage am Bosporus und im Nahen Osten aufgehalten, in Afrika überwinternde Langstreckenzieher durch die Dürre am Horn von Afrika. Man kann davon ausgehen, dass auch diese bei normaler Witterung in Afrika in den Stau am Bosporus geraten wären. Dieser interessante Fall zeigt jedenfalls auf, dass aussergewöhnliche Witterungsbedingungen einen starken Einfluss auf das Zugverhalten der Vögel ausüben. Eine Zusammenarbeit von Ornithologen und Meteorologen in diesem Forschungsgebiet wäre somit sinnvoll, und orniwetter.info will einen Beitrag dazu leisten.