Solche Beobachtungen lassen jedes Birderherz schneller schlagen: Am 24. April entdeckte H. Reinhard in Radolfzell am Bodensee (Baden-Württemberg, DE) eine Schwarzkehlbraunelle. Dieser Vogel brütet im nördlichen Ural, sein Überwinterungsgebiet liegt in Mittelasien (Afghanistan, Pakistan, Kaschmir). Am 2. Mai wiederum entdeckte Ernst Albegger im Rheindelta am Bodensee (Vorarlberg, AT) einen Isabellsteinschmätzer. Europäische Brutgebiete liegen zwischen Südbulgarien, Ostgriechenland bis Türkei und nordöstlich des Schwarzen Meeres in Südrussland, der Ostukraine und der Kaukasus-Region. Die Überwinterungsgebiete liegen in Arabien und Ostafrika sowie in einem Streifen südlich der Sahara bis nach Westafrika. Diese Raritäten sowie das gehäufte Auftreten weiterer östlicher Arten, so etwa der Zitronenstelze (bis in die Westschweiz), des Graubruststrandläufers (Erstnachweis für Südtirol) und eines Steppenadlers (in Niederösterreich) lassen den Verdacht eines Zusammenhangs mit der Wetterlage aufkommen.
Es mag verschiedene Gründe für aussergewöhnliche Flugrouten einzelner Vögel geben, darüber können in diesem Gebiet bewanderte Ornithologen bestimmt mehr berichten. Eines ist jedoch klar: Ein Vogel kämpft sich nicht tausende Kilometer gegen den Wind weg von seinem angestammten Gebiet. Das gehäufte Auftreten von Irrgästen aus einer bestimmten Region ist somit in den meisten Fällen mit einer speziellen Wetterlage verbunden. Anhaltende Winde aus östlicher bis südöstlicher Richtung helfen mit, dass Vögel von ihrer Zugroute durch Osteuropa und dem östlichen Mittelmeerraum nach Westen verdriftet werden und schlussendlich in Mitteleuropa landen. Folgende Karte zeigt die Wetterlage zwischen dem 18. und 27. April. Dargestellt ist der mittlere Luftdruck, ergänzt durch Pfeile mit den häufigsten Windströmungen in diesem Zeitraum:
Der Isabellsteinschmätzer sowie die Zitronenstelzen dürften also von ihrem Weg durch den östlichen Mittelmeerraum nach Norden bzw. Nordosten abgekommen sein. Bei der Schwarzkehlbraunelle ist eine Verdriftung aus der Kaspi-Region während der scharfen Ostwindlage um Ostern naheliegend. Aufgrund des sehr weit im Osten liegenden angestammten Überwinterungsgebietes ist allerdings nicht ganz auszuschliessen, dass dieser Vogel bereits auf dem Herbstzug von seiner Route abgekommen ist und irgendwo in (Süd-)Osteuropa überwintert hat. Dies sind allerdings nur Mutmassungen, denn Ostlagen traten im vergangenen Herbst keine auf.
Als Ergänzung seien nachfolgend noch drei Karten mit den Wind-Trajektorien angeführt. Sie zeigen die Herkunft der Luftmassen für vier ausgewählte Orte in Deutschland, besonders interessant ist in unserem Fall die türkisfarbene Spur für München. Dargestellt ist jeweils der Weg, den die Luft während den vergangenen drei Tagen bis zum Ankunftsdatum (20., 25. und 29. April 2014) über der gewählten Region zurückgelegt hat:
orniwetter.info versucht in seinem wöchentlichen Birderwetterbericht jeweils auf solch besondere Wetterlagen hinzuweisen. Eine Hilfe für das Erkennen spezieller Wetterlagen, welche auf Irrgäste aus einer besonderen Region schliessen lässt, ist auch der regelmässig aktualisierte Wetterlagenkalender mit Prognosen für die kommenden 5 bis 8 Tage. Je länger eine Periode mit gleicher oder verwandten Grosswetterlagen anhält, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit von Seltenheitsbeobachtungen, insbesondere während der Zugzeiten. Die Lage zwischen dem 18. und dem 27. April (zunächst Ost-, später Südostlage, HNFZ und SEZ) ist ein Paradebeispiel dafür.